/Korruptionsverdacht: Apotheker, der Krebsmittel verdünnte, könnte Ärzte bestochen haben

Korruptionsverdacht: Apotheker, der Krebsmittel verdünnte, könnte Ärzte bestochen haben

Die Staatsanwaltschaft Wuppertal hat nach Informationen von ZEIT ONLINE
am 12. März mit dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen Razzien bei Ärzten
und weiteren Personen durchgeführt. Sie prüft den Verdacht auf
Korruptionsstraftaten. Diese betreffen bei einem Teil der Ärzte Geschäftsbeziehungen mit dem Apotheker Peter S. aus Bottrop, der laut einem Urteil aus dem Sommer 2018 des
Landgerichts Essen über Jahre verdünnte Krebsmedikamente an Arztpraxen
ausgeliefert hatte. Wie die Staatsanwaltschaft bestätigte, wurden im Zuge der
Razzien 19 Geschäftsräume, sechs Privatwohnungen, zwei Steuerberaterbüros und
weitere Nebenräume durchsucht.

In den Ermittlungen gehe es um drei Ärzte und drei weitere Beschuldigte,
von denen ein Teil laut der Staatsanwaltschaft bei dem Apotheker Peter S.
Medikamente bezog. Es gehe um zwei Hauptvorwürfe, von denen offenbar einer auch
den Bottroper Krebsmittelbetrug indirekt betrifft: So bestehe der
Anfangsverdacht, dass der hauptbeschuldigte Arzt der aktuellen Ermittlungen, Unternehmen, mit denen er in
Geschäftsbeziehungen stand, “zu Zahlungen von sogenannten Sponsoringgeldern zugunsten einer im Gesundheitsbereich tätigen Gesellschaft veranlasste”, sagte
der Sprecher der Staatsanwaltschaft ZEIT ONLINE. Am Rande des Verfahrens gegen
S. war öffentlich geworden, dass der Apotheker einen Kongress, den der Arzt
mitveranstaltete, mit mindestens 15.000 Euro unterstützt haben soll.

Der zweite Vorwurf: Derselbe Mediziner soll einer Klinik Patienten
zugeführt und dafür von dieser Vorteile erhalten haben. “Hierbei soll es sich
um unentgeltliche Bereitstellung von Arbeitsräumen und Personal handeln”, sagte
der Sprecher.

Beschuldigte Ärzte wussten offenbar nichts von gepanschten Medikamenten

Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2016 kann Bestechung und
Bestechlichkeit im Gesundheitswesen mit bis zu drei Jahren Haft bestraft
werden. Laut dem Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Wuppertal werde
zusätzlich geprüft, ob Beteiligte auch zuvor Abrechnungsbetrug begangen haben
könnten, was gleichfalls strafbar wäre. Die jetzt ins Visier geratenen Ärzte
wussten aber offenbar nicht, wie Apotheker Peter S. die Krebsmittel hergestellt
hatte. “Es liegen keinerlei Erkenntnisse dafür vor, dass die Beschuldigten von
gepanschten Krebsmedikamente wussten”, betonte der Pressesprecher.

Der Fall des
Apothekers, der gefälschte Medikamente für Krebskranke vertrieben hatte,
erschütterte Menschen in ganz Deutschland: Über Jahre soll der Bottroper Apotheker Peter S. Infusionsbeutel
unterdosiert, mit falschen Arzneimitteln versehen oder ganz ohne Wirkstoff
hergestellt haben. Tausende Patientinnen und Patienten können sich nicht sicher
sein, ob sie ausreichend behandelt wurden. Einige wunderten sich im Laufe ihrer
Krebsbehandlung, dass zu erwartende Nebenwirkungen ausblieben und sie ihre
Chemotherapie so gut vertrugen. Manche seiner Patientinnen und Patienten sind
mittlerweile verstorben. Könnten Menschen noch leben, wie etwa die Ende 2016 an
den Folgen ihrer Erkrankung verstorbene Mutter der kleinen Lara (DIE ZEIT berichtete)?

Diese
Unsicherheit wird wohl bleiben. Denn unklar ist, welche Patientinnen und
Patienten gefälschte Arzneimittel bekommen haben und welche nicht. Auch weil
der in erster Instanz verurteilte Apotheker weiterhin dazu schweigt. Das
Landgericht Essen sprach ihn im vergangenen Juli wegen Verstoßes gegen das
Arzneimittelgesetz und wegen Betrugs schuldig: Da er mehr als 14.000
Infusionsbeutel oder andere individuell hergestellte Arzneimittel gefälscht und
bei den Krankenkassen ungefähr 17 Millionen Euro betrügerisch abgerechnet habe,
soll er für zwölf Jahre ins Gefängnis,
urteilte das Landgericht Essen.

Der Bundesgerichtshof muss im Fall des Apothekers entscheiden

Das Verfahren
geht derzeit zum Bundesgerichtshof: Die Verteidiger des Pharmazeuten plädieren
weiter auf Freispruch. Auch die Anklage legte Revision ein, ihrer Ansicht nach
hat S. auch aufgrund von Hygienemängeln insgesamt sogar rund 62.000
Arzneimittel im Wert von ungefähr 56 Millionen Euro illegal bei den
Krankenkassen abgerechnet. Einige Nebenkläger wollen die Bundesrichterinnen und
-richter sogar davon überzeugen, dass S. wegen versuchten Mordes zu verurteilen
ist. Parallel beginnen die ersten Zivilprozesse gegen den Apotheker: Im Juni
soll eine erste Klage beim Landgericht Essen verhandelt werden. Eine frühere
Krebspatientin macht 10.000 Euro Schmerzensgeld geltend wegen der Angst vor
einem Wiederauftreten der Krebserkrankung, erklärte ein Gerichtssprecher
gegenüber ZEIT ONLINE. Außerdem will sie eine Feststellung erreichen, dass der
Beklagte für alle zukünftig eventuell noch eintretenden Schäden haftet. Fünf
andere Zivilprozesse sind bereits anhängig, Dutzende weitere Klagen sind
aktuell in Vorbereitung.

Nach derzeitigem
Erkenntnisstand haben die Ärzte, die unter Verdacht stehen, Gefälligkeiten des
Apothekers angenommen und ihn im Gegenzug bevorteilt zu haben, zum Zeitpunkt
der Behandlung nicht gewusst, dass sie ihren Patienten unterdosierte
Krebsmittel verabreichen ließen.

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