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Rammstein-Video: Ein lauter Schrei nach Liebe

Guten Appetit! Falls sich jemand gefragt haben sollte, was es bei der Familie Rammstein nach verrichtetem Tagewerk zum Abendbrot gibt, bietet das neue Video der Berliner Gruppe mit dem Titel Deutschland die Antwort: Es wird eine leckere Frau serviert mit schwarzer Hautfarbe und güldenem Geschmeide über der Stirn, der in geselliger Runde der Leib ausgeweidet wird. Man schlabbert in Gedärmen und knurpselt an Knochen, und die jedenfalls oberhalb der Halswirbel noch recht lebendig wirkende Frau blickt wohlwollend lächelnd auf das Spektakel hernieder.

Die schwarze Frau ist als Personifikation der deutschen Geschichte zu verstehen. Sie tritt im Video in den verschiedensten Variationen der Nationalallegorie Germania auf, mal als wackere Reckin, die – sagen wir einmal: im Teutoburger Wald bei der Hermannsschlacht – gegen römische Usurpatoren kämpft; man sieht sie als flotte Nazidomina mit Lackledermantel und Lederstiefeln wie in einem italienischen KZ-Porno der Siebzigerjahre (Ilsa – She Wolf of the SS); als sexuell unberührte und entsprechend unschuldige Nonne mit Flügelhaube wie in einem Gemälde von Rogier van der Weyden (ein Hauptstück der Gemäldegalerie in Berlin); oder als wehrloses Opfer einer westdeutschen Terroristengruppe mit dem Rammstein-Sänger Till Lindemann als maschinenbewehrtem Dragqueen-Kommandanten.

Deutschland ist eine Frau: Das ist die zentrale Botschaft dieses neunminütigen Kurzfilms. Und diese Frau versetzt Generationen, Epochen und Genealogien, Sippschaften, Stämme und Reiche von Männern in den Zustand einer unauflösbaren erotischen Spannung. Sie alle würden am liebsten nichts anderes tun als mit Deutschland zu kopulieren; von vorne, von hinten; in jede Öffnung, die sich ihnen so bietet. Doch sind die deutschen Männer dafür sexuell zu verklemmt. Sie haben zu viel Angst vor der Frau, die ihnen mal gewalttätig und gebieterisch, mal unschuldig und unberührbar entgegentritt. Darum müssen sie ihre Energien und ihre Roheit, ihre Libido und ihre Kraft aufeinander richten im endlosen Kampf Mann gegen Mann: mit Schwertern und Lanzen in den germanischen Wäldern oder in den feuchten Katakomben des Mittelalters; mit schlagringbewehrten Fäusten im Hinterzimmer einer Ganovenkneipe des Franz-Biberkopf-Berlins; sie müssen mit der Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten auf andere Männer losgehen oder mit der Überwachungsmaschinerie der Staatssicherheit in der DDR.

Vielleicht würde es schon helfen, wenn die deutschen Männer mal auf eine andere Frau treffen würden als eben bloß auf Frau Deutschland. Dann könnten sie küssen und kuscheln und sich über das verschmierte Haar streicheln lassen oder erfahren, wie schön es ist, wenn jemand ihnen mit feingliedrigen Fingern die blutigen Narben bezärtelt. Aber andere Frauen sind im Video Deutschland nicht in Sicht, es gibt keine Geliebten und keine Begehrten; es gibt nicht mal Mütter oder wenigstens Huren; es gibt nur maskuline Kriege und Kämpfe, Täter und Opfer, Triumphe und Niederlagen. In dieser sexuell amputierten und darum vor ziellos versprühtem Testosteron nur so stinkenden Welt kann der Mann gar nicht anders, als triebhaft, todessehnsüchtig und wahnsinnig zu werden.

Deutschland ist ein erstaunlicher Film, inszeniert von dem Berliner Grafikdesigner und Regisseur Eric “Specter” Remberg, der uns mit seinem Label Aggro Berlin in den Nullerjahren schon so bedeutende Künstler wie Sido, Fler, B-Tight und Bushido schenkte. Erstaunlich ist Deutschland, weil Rammstein darin im 25. Jahr ihrer Karriere den Kern ihrer Kunst und ihrer politischen und sexuellen Ästhetik freilegen. Diese sonderbare Mischung aus erotischer Aggressivität und Verklemmtheit, aus männlicher Tatkraft und masochistischer Opferpose, aus Brutalität und Weinerlichkeit, die das Schaffen der Band seit jeher prägte, wurde wohl noch nie so konzise formuliert wie in diesem Film. Es handelt sich mithin um große Kunst.

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