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Fridays for Future: Der deutsche Selbstbetrug

Eines hat die Fridays-for-Future-Bewegung mit Greta Thunberg
an der Spitze geschafft: Deutschland diskutiert wieder über die Energiewende. Die Bundeskanzlerin unterstützt die
Schülerproteste; CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer mahnt, man müsse “in Sachen Klima wesentlich mehr tun”; und SPD-Vorsitzende Andrea Nahles ruft das Jahr 2019 gar zum “Klimajahr” aus.

Doch allein die Geschehnisse dieser Woche zeigen,
wie verfahren die energiepolitische Lage derzeit ist – in Deutschland und Europa. In Berlin ging eine Arbeitsgruppe, die konkrete Maßnahmen für mehr
Klimaschutz im Verkehr ausarbeiten
sollte, nach 17 Stunden Dauerkonferieren ohne konkrete Ergebnisse auseinander.
Und in Straßburg verabschiedet das Europaparlament nach
jahrelangen Verhandlungen ein mehrere Hundert Seiten dickes Gesetzespaket
mit dem vielsagenden Namen Clean Energy Package, das die europäische CO2-Bilanz unter Umständen sogar verschlechtern könnte.

Mit der deutschen Vorreiterrolle im Klimaschutz ist es nicht mehr weit her. Zwar hat Deutschland mit seiner
lukrativen Ökostromumlage dafür gesorgt, dass sich die Erneuerbaren Energien technisch rasant entwickelt haben – auch weltweit. Doch fast 20 Jahre nach Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes,
acht Jahre nach Fukushima und dem deutschen Atomausstieg ist die Bilanz
ernüchternd. Deutschland verfehlt seine Klimaschutzziele. Statt den CO2-Ausstoß bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu senken, schaffen wir nur 32 Prozent.

Woran hakt es? Drei Bereiche stehen zurzeit im Mittelpunkt der Debatte:

Strom und Stromnetze

Keine Frage: In den vergangenen Jahren ist der deutsche Strommix immer grüner
geworden. Im vergangenen Sommer lag der Ökostromanteil erstmals bei
mehr als 40 Prozent
. Aber der Boom verlangsamt sich. Im
vergangenen Jahr gingen noch 740 neue Windräder ans Netz, im Vorjahr waren es mehr als doppelt so viele.

Die besten Grundstücke für Wind- und Solarparks
sind vergeben. Weil Bürger protestieren, weisen viele Kommunen nur
zögerlich neue Standorte aus. Vor allem aber wurde die lukrative
Ökostromförderung abgeschafft und stattdessen ein Ausschreibungsmodell eingeführt. Investoren müssen sich jetzt um Projekte bewerben, der günstigste Bieter erhält den Zuschlag. Das Modell schreckt Investoren scheinbar
noch ab.

Zudem hängt Deutschland noch immer an der Kohle, dem
klimaschädlichsten Energieträger. Mehr als jede dritte Kilowattstunde stammt
aus einem Kohlekraftwerk. Zwar empfiehlt die Kohlekommission, dass im Jahr 2038 das letzte Kohlekraftwerk in Deutschland abgeschaltet werden soll, aber wie das konkret umgesetzt wird, muss sich noch zeigen. Gaskraftwerke und Erneuerbare sollen die Stromversorgung übernehmen, wenn Kohle und Kernkraft wegfallen. Aber bislang
können die riesigen Mengen Windstrom aus dem Norden und der Solarstrom
aus dem Süden nicht ausreichend im Land verteilt werden. Rund 5.900 Kilometer Höchstspannungsleitungen wären nötig – aber erst 250 Kilometer sind bislang gebaut, teilt das Bundeswirtschaftsministerium mit. Die drei großen Nord-Süd-Trassen sind noch immer in Planung. Die Stromautobahn SuedLink, die zum ersten Mal in der Geschichte Deutschlands komplett als Erdkabel verlegt wird,
soll zwar 2025 fertig sein, bislang aber steht noch nicht einmal der endgültige Trassenverlauf fest.

Wie wichtig ein schneller Kohleausstieg auch für die europäische Klimabilanz wäre, zeigt sich am Clean Energy Package. Es soll den Energiemarkt innerhalb der EU
umweltfreundlicher und flexibler machen – zum Beispiel, indem es die
Strommengen erhöht, die exportiert werden können. Weil aber
Deutschland wegen seines hohen Anteils an Kohlestrom europaweit im
Schnitt die günstigsten Strompreise bietet, könnte ausgerechnet der
klimaschädliche Kohlestrom
aus Deutschland vermehrt im Ausland landen
. Dann könnten die europäischen Emissionen insgesamt sogar noch steigen.

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Verkehr und Gebäude

Klimaschützern bereitet vor allem der
Verkehrssektor Sorgen. Auf ihn entfallen mehr als 18 Prozent der CO2-Emissionen Deutschlands – und sie steigen, statt zu sinken, unter anderem, weil immer mehr schwere Autos mit stärkeren Motoren auf deutschen Straßen
unterwegs sind. Das Ziel der Bundesregierung, dass im kommenden Jahr
eine Million Elektroautos in Deutschland unterwegs sein sollen, ist nicht mehr
zu erreichen. Bislang sind es gerade einmal 83.000 – und deren Klimabilanz ist
schlecht, solange sie mit dem konventionellen Strommix fahren.

Zugleich
verschärft die EU die Vorgaben: Am Wochenanfang beschloss das EU-Parlament, dass Neuwagen bis 2030 37,5 Prozent
weniger CO2 ausstoßen müssen als noch im Jahr 2021
. Die Bundesregierung hatte, aus Sorge um
die Autoindustrie, für nur 30 Prozent plädiert.

Bei der Sanierung von Häusern ist die
Lage noch komplizierter. Gebäude sind für rund ein Drittel der CO2-Emissionen
verantwortlich. Wer sie saniert und besser dämmt, spart Energie und damit Kohlendioxid. Seit acht Jahren kann sich die
Politik aber nicht darauf einigen, solche Sanierungen steuerlich zu fördern.
Auch im jüngsten Bundeshaushalt stellt die Regierung kein Geld dafür bereit – obwohl
der Koalitionsvertrag das vorsieht. Bislang ist die Förderung vor allem am
Widerstand der Bundesländer gescheitert. Sie befürchten Steuerausfälle.

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Klimaschutzgesetz und Klimakabinett

Am 10. April wird das Klimakabinett zum ersten Mal tagen. Neben der Kanzlerin gehören zu dem Gremium auch die Ministerinnen und Minister für Umwelt,
Verkehr, Finanzen, Landwirtschaft und Bau. Die Jobbeschreibung des
neuen Gremiums ist ehrgeizig. Es soll Gesetze für den Klimaschutz ausarbeiten
– ob dazu allerdings auch ein eigenes Klimaschutzgesetz gehört, wie Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) es plant, ist noch unklar.

Dem
Kabinett kommt eine Schlüsselposition zu. Im besten Fall
führt es alle Energiewendethemen zusammen und formuliert gesetzlich verbindliche
Einsparpfade. Wie etwa lässt sich garantieren, dass die Erneuerbaren schnell genug wachsen, um den Kohleausstieg 2038 zu ermöglichen? Oder dass die Emissionen auch im Verkehr, in der Landwirtschaft und im Gebäudesektor sinken?

Ein Klimaschutzgesetz wäre ein Novum. Bislang gibt es nur einen rechtlich unverbindlichen, drei Jahren alten Klimaschutzplan. Ministerin Schulze
hatte Ende Februar einen Gesetzentwurf vorgelegt. Ihr Vorschlag, dass jedes Ministerium aus seinem
eigenen Etat Strafen zahlen soll, wenn es die eigenen Klimaziele verfehlt, stieß allerdings auf großen Widerstand. Vor allem die Ressorts Verkehr, Gebäude und
Landwirtschaft sind alarmiert. Schaffen sie ihre Minderungsziele nicht, muss Deutschland CO2-Verschmutzungsrechte im Ausland kaufen – und wenn Schulze sich durchsetzt, muss jedes Ressort dafür
selbst zahlen.

Sicherlich wird im Klimakabinett auch über eine CO2-Steuer gesprochen, die klimaschädliche Energieträger wie Benzin oder Kohle verteuern würde. Ohne einen sozialen Ausgleich, etwa in Form einer Steuerrückerstattung, würde sie aber gerade Menschen mit geringem
Einkommen, die beispielsweise aufs Auto angewiesen sind, überdurchschnittlich stark belasten. Energie- und Klimawissenschaftler fordern die Steuer schon lange. Ob sie politische Chancen hat, ist derzeit aber völlig offen.

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