/Wochenendhaus: Was soll man allein auf der Wiese?

Wochenendhaus: Was soll man allein auf der Wiese?

Der Trend in seiner unermesslichen Weisheit entwickelt sich nun dahingehend, dass viele Leute, die wochenends aufs Land wollen, keine Häuser mehr suchen, denn es gibt ja auch kaum welche, die für ein Leben zwischen Stadt und Land gut funktionieren. Zwei Haushalte zu führen bedeutet, zweimal die üblichen Kostengruppen zu stemmen – Wasser, Strom, Müllgebühren, Versicherungen etc. – und auf den bourgeoisen Anspruch des unbedingten und repräsentativen Privateigentums vielleicht sogar zweimal reingefallen zu sein. Ich frage, warum tun sich Menschen nicht zusammen mit anderen Menschen und teilen sich Wochenendhäuser und alle mit ihnen verbundenen Arbeiten, Kosten und Späße? Es würde meinem Ideal von Leben entsprechen, aber damit kann ich mich nicht einmal in meiner Familie durchsetzen. Vonseiten der hart arbeitenden Bevölkerung und der Schülerschaft innerhalb meiner Kernfamilie höre ich immer wieder ein Argument: “Wir wollen uns in unserer Freizeit nicht noch mit Leuten rumärgern!”

Das mag sich die hart arbeitende Bevölkerung/Schülerschaft aufs Sofakissen sticken, doch ich komme an diesem Argument nicht so einfach vorbei. Anscheinend sind “Leute” gleichbedeutend mit “rumärgern”, was angeblich “jeder weiß”, und nur ich als künstlerisch tätige Freiberuflerin bin “out of touch” mit den Lebensrealitäten und hänge gefährlichen Sozialromantizismen nach, weil ich mit dem Gedanken gespielt habe, das Wochenendhaus mit anderen zu teilen. In der Auseinandersetzung mit meiner Familie lerne ich, dass das Wochenende unbedingt frei zu bleiben hat von der Auseinandersetzung mit den Anderen, sonst gibt es keine Erholung, unmöglich.

Stattdessen sind Raumideen, Architektur und Ästhetik für unsere Zeitgenossen wichtig, da muss man sich nicht mit Menschen rumärgern. Dazu passt der Trend, dass Menschen davon träumen, sich ein leeres Grundstück zu kaufen, um ein Tiny House oder einen Bauwagen darauf zu stellen. Viele dieser Träumer sahen einen interessanten Beitrag dazu im Fernsehen und sind seither nicht mehr zu bremsen. Alles an der Idee fühlt sich richtig an: Der Bauwagen ist als Projekt überschaubar, die Kosten erscheinen kalkulierbar, der Bauwagen gilt als unspießig und trotzdem gemütlich. Vor allem erinnert er an eine Kindheit, in der die ZDF-Fernsehsendung Löwenzahn eine wichtige Rolle spielte. Der ikonische Kinderfernseh-Onkel Peter Lustig mit seiner Latzhose mahnte am Ende jeder Sendung, dass die Kinder, die vor den Geräten saßen, den Fernseher ausschalten und rausgehen müssen, raus auf die Straße war vermutlich gemeint.

Sarah Khan
© Helio Heiser

“Du hast ja immer noch nicht ausgeschaltet!?”, sagte der Peter Lustig im lustig-strengen Tonfall. Oje, erwischt, der Mann konnte durch das Gerät hindurch direkt in deine Seele schauen. Dreißig Jahre später erfüllt die alt gewordene Peter-Lustig-Jugend endlich, was von ihr verlangt wurde, sie geht raus, aber nicht auf die Straße. Sie sucht sich ein Stück Land und einen Bauwagen, der so aussieht, als hätte Peter Lustig ihn persönlich zertifiziert. In Ochsenblutrot, mit aufgebockter Terrasse und eingepflanztem Sonnenblumenkübel davor. Und wenn dann jeden Tag ein Huhn vorbeikommt und ein Ei auf die Treppe legt und sich ein dicker Nachbar mit kurzer Hose an den Zaun stellt und drollige Geschichten mitbringt, über die man später bloggen könnte, dann ist das Leben der Generation Peter Lustig wirklich rund geworden.

Doch auch dieses Szenario ist umkämpft und bedroht und entwickelt sich vor allem zu einem Riesenspaß für die Landbevölkerung, die gerne mitansieht, wie die Städter planen und entwerfen und im Internet recherchieren und einen verkrüppelten Bauwagen aufmotzen mit sibirischer Lärche, raffiniertem Innenausbau und gemütlicher dänischer Ofenheizung, um dann hart aufzuprallen an der Realität einer verweigerten Genehmigung. Es kommt ein Brief vom Amt, und da wird der Abbruch der Baustelle mit kurzer Frist angemahnt, bei Androhung von Bußgeld. Das Jammern ist dann groß und der Einzelne fühlt sich schlecht behandelt.

Doch mal andersrum betrachtet: Gemeinden haben ein berechtigtes Interesse daran, dass sich ihre Dörfer nicht in Campingplätze für Peter-Lustig-Fans verwandeln. Die allgemeine Verhüttung ist sowieso ein großes Problem auf dem Land – auch mit Einheimischen wird dahingehend streng umgegangen. Die menschliche Neigung zur Verhüttung ist ein Thema, das schon im Mittelalter für Ärger sorgte. Damals waren es die Vögte (das waren die Sachwalter), die im Auftrag der Herrschaft gegen ungenehmigte Verhüttung vorzugehen hatten, was sie sehr ungern taten, denn oft wurde den Vögten aufgelauert und sie landeten erschlagen im Graben. Bis heute ist der Vogt ein unverstandener Beruf in Deutschland, der Name ist wenig verbreitet, und bis heute neigt der Landbewohner dazu, seine Carports, Anbauten, Vorbauten, Gartenhäuser, Geräteschuppen und Zuwege immer mehr zu überdachen, wohnlich einzurichten, zu dämmen, Licht, Wasser und Tiefkühltruhen daran anzuschließen, Musikboxen dahin zu überführen, mit Lampions zu verkabeln, mit Alarmanlagen und Satellitenfernsehen zu erweitern, Sofas darin zu gruppieren und plötzlich Tatsachen geschaffen zu haben.

Brandenburg würde wie der alte Basar von Saigon aussehen, wenn die Aufsichtsbehörden nicht ständig durchgreifen würden. Deshalb fliegen Kartografen im Auftrag regelmäßig übers Land, damit die Gemeinden ungenehmigte Veränderungen und Bautätigkeiten aufdecken und die Baustellen der Einheimischen stilllegen und abreißen können. Selbstverständlich werden auch hier Bußgelder angedroht. Nur bloggt darüber niemand annähernd so weinerlich wie die Lifestyle-Bauwagenlobby.  Deshalb sollte man die Schadenfreude der Einheimischen, wenn mal wieder der Bauwagen eines eifrigen Städters zerlegt oder abgeschleppt werden muss, entsprechend einordnen – es ist geteiltes Leid. Und nur weil der Städter sich hinter einem Farbtrick versteckt und meint, dass der zimtrot gestrichene, biohölzerne Zirkuswagen nichts mit der weißen Flotte eines ordinären Campingplatzes oder Straßenstrichs zu tun hat, sollte er doch nicht glauben, dass er davonkommt. “Solang das Deutsche Reich besteht, werden Schrauben rechts gedreht”, und werden nur fest gemauerte Häuser in Dörfern errichtet, direkt an der Straße, mit einem Garten hinten und einem Zaun vorne. Nur der obligatorische Schäferhund darf wahlweise durch das Schild “Hier wache ich” ersetzt werden. In der Weite der Landschaft aber, außerhalb von Siedlungen, sind Unterkünfte sowieso verboten, weder ein Haus noch ein winziger Bauwagen darf die Kulturlandschaft zersiedeln. Einsame Lagen gibt es nur in ZDF-Fernsehkrimis und in Kinder- und Hausmärchen, aber dann wohnen Hexen darin, die fressen Peter-Lustig-Fans und haben natürlich eine Sondernutzungsgenehmigung.

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