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Beth Gibbons: Und sie singt wieder

Noch immer ist die scheue Musikerin Beth Gibbons aus Bristol eine, die lieber schweigt. Die keine Interviews gibt und nur selten in der Öffentlichkeit erscheint. Das letzte Album der Band, als deren Sängerin sie berühmt wurde, Portishead, wurde vor elf Jahren veröffentlicht; Gibbons’ bisher einziges Soloalbum Out Of Season mit dem einstigen Talk-Talk-Bassisten Paul Webb alias Rustin Man gar vor 17 Jahren. Jetzt ist sie wieder da, mit einer auf den ersten Blick völlig unerwarteten Platte. Deren Aufnahme jedoch auch schon wieder fünf Jahre zurückliegt. Die übliche Zeitrechnung der Popmusik gilt nicht für Beth Gibbons.

Seit dem als bedrohlich erlebten Erfolg des Portishead-Debüts Dummy vor nun einem Vierteljahrhundert lebte die auf dem Land aufgewachsene Britin meist sehr zurückgezogen. In den vergangenen Jahren drangen nur noch wenige Nachrichten nach außen, verstreute Aktivitäten füllen aktuell ihre Homepage. Vor drei Jahren hat Gibbons zum Beispiel zusammen mit ihren Bandkollegen eine düstere Coverversion des Abba-Titels SOS für die Science-Fiction-Romanverfilmung High Rise eingespielt. Erst zum Schluss des Musikvideos offenbart sich die als Brexit-Kritik lesbare Metaebene: “We have far more in common than that which divides us“, eine Hommage an die 2016 ermordete Labour-Politikerin Jo Cox.

Vorigen Sommer trat Beth Gibbons dann beim Spill-Festival für Theaterkunst und experimentelle Performance auf, neben der ehemaligen Cocteau-Twins-Sängerin Elizabeth Fraser, der Crossover-Sopranistin Melanie Pappenheim und vielen mehr. Davor gab es Produktionen unter anderen für und mit Jane Birkin und Annie Lennox sowie für zwei Filmsoundtracks.

Ansonsten: nichts

Aus dem seit Ewigkeiten angekündigten neuen Portishead-Album wurde zum Beispiel nie etwas, nur Konzertauftritte fanden über diverse Länder und Kontinente verteilt bis in jüngste Zeit statt. Viel Geheimnis, wenig Faktisches, doch eines steht fest: Ohne Beth Gibbons’ tieftraurige Stimme, die zuckende Kompassnadel durch Portisheads Zeitlupen-Hip-Hop aus Filmmusikzitaten und Jazzsamples hätte es den Hype und die Legendenbildung um die Band und das (wie man sagt, von Journalisten erfundene) Genre Trip-Hop nicht gegeben. 

Als das Trio im Jahr 2008 auf dem dritten Studioalbum Third die Morricone-Lieblichkeit im Stahlbad einer avantgardistisch hergeleiteten Maschinenmusik versenkte und aus Folk-Elementen Horrorvisionen aufscheinen ließ, rüttelte erneut Beths melancholisch aufbegehrender Gesang an den zeitgenössischen Style-Erwartungen. Längst war Trip-Hop im Kitsch von Werbung und Warenwelt untergegangen, doch der Krautrock-Noir von Third beflügelte für weitere Dekaden Portisheads distinktiven Ruhm.

Überhaupt kam die mit dunklen elektronischen Beats unterlegte Schwermut nicht gänzlich aus der subversiv verstandenen Mode. Mittlerweile beruft sich die (über-)nächste Generation, beispielsweise in Gestalt der Londoner King Krule oder Tirzah, auf ihre eigene basslastige Großstadttrübsal.

Vor diesem Hintergrund hätte Beth Gibbons jetzt mit beinahe jeder Art Revival kommen können – stattdessen taucht sie in die Gefilde der klassischen Musik des 20. Jahrhunderts ein. Bei einem Festivalauftritt in Krakau wurde sie 2013 eingeladen, an einem Radioprojekt zur Aufführung der 3. Sinfonie op. 36 von Henryk Górecki mitzuwirken; die Aufnahme fand dann 2014 statt. Die Sinfonie für Sopran und Orchester, uraufgeführt 1977, ist das bekannteste Werk des polnischen Komponisten und erlebte seine Pop-Werdung nicht nur in Filmen und Fernsehserien. Mit der London Sinfonietta unter David Zinman schaffte es die Sinfonie 1992 sogar in die Pop-Charts.

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