/Rechtsextremismus: Der Osten muss erst mal seine eigene Geschichte aufarbeiten

Rechtsextremismus: Der Osten muss erst mal seine eigene Geschichte aufarbeiten

Vor wenigen Tagen hat ZEIT-ONLINE-Autor Christian Bangel einen Text geschrieben – einen persönlichen, besonnenen, auch unbequemen über Ostdeutschland und den dort grassierenden Rechtspopulismus. Teilhabe und Urheberschaft an der ostdeutschen Rechtsverschiebung sieht er viel zu wenig im Westen verortet. “Es ist auch euer Höcke”, schleuderte er der Westlinken entgegen.

Natürlich hat Bangel recht. Die Westlinke interessierte sich, mit einigen Ausnahmen, nur begrenzt für den Osten. Und natürlich hat der Westen seinen ideellen, personellen, monetären und logistischen Anteil am ostdeutschen Rechtsextremismus. Die Liste der im Westen geborenen und im Osten groß gewordenen rechten Vordenker ist lang.

Aber ist das wirklich die Schuld des Westens? Wohl niemand käme auf die Idee, Frankreich den Vordenker der Neuen Rechten, Alain de Benoist, vorzuwerfen. 

Hier scheiden sich unsere Ansichten, obwohl unsere Lebenswege lange parallel verliefen. Wir beide sind mit einem Jahr Unterschied in ähnlichen Umfeldern sozialisiert worden: Bangel in Frankfurt an der Oder, ich im Leipziger Osten. Beide kannten wir die alltäglichen Begegnungen mit den für die Neunzigerjahre so typischen Glatzen-Nazis, denen es schon reichte, nicht wie sie zu sein, um Ärger zu machen. Wir haben die indifferente Haltung erlebt, mit der weite Teile der ostdeutschen Gesellschaft rechten Umtrieben gegenüberstand.

Niemand konnte sagen, wer warum im Osten rechts wurde

Ich wäre gern Teil jener Antifa-Gruppen gewesen, die sich gewehrt haben gegen die Hegemonie dieser Typen. Ich war es nicht. Ich hätte gern an vielen Stellen dem Alltagsrassismus widersprochen, dem sächsischen Chauvinismus, ich tat es nicht. Ich ging weg, wie so viele meiner Generation. Es war auch eine Flucht, es wurde eine Befreiung von Angst, von Ressentiments, vom alltäglichen Relativismus. Ich stürzte mich, in einer linken Uni-Stadt im Westen angekommen, in die wissenschaftliche Be- und Verarbeitung meiner ostdeutschen Erfahrung – was nicht ganz leicht war in einem universitären Umfeld, in dem die DDR und Ostdeutschland Fußnoten geworden waren.

Was ich im Westen fand, war Distanz zu meiner Herkunft. Räumlich natürlich, aber auch in der Sprache. Nicht weil mir von der Westlinken irgendwas souffliert worden wäre, sondern weil ich lernte, dass gewisse Dinge, die ich zu sagen pflegte, unsensibel waren. Es war ein schwieriger Prozess, umzustellen von ostdeutschen Sagbarkeitsregeln auf westdeutsche Sensibilität. Ich wurde nachsozialisiert in einem linken, grünen Umfeld, es schliff zunächst meinen Dialekt, dann den Stolz auf die Heimat, die mir fremder wurde über die Jahre. Ich bin nicht dankbar für diesen Prozess der Entheimatung. Und irgendwie bin ich es doch. Denn es war der Westen, der mich zu dem machte, was ich heute bin.

Niemand konnte genau sagen, wer warum im Osten ein Rechter wurde und wer nicht. Das beschreibt auch Daniel Schulz in seiner preisgekrönten Reportage in der taz. In meiner Schule waren viele phänotypische Nazis, im Jahrgang über mir, im Jahrgang unter mir. In meinem Jahrgang war es keiner. Warum, weiß ich nicht. War es meine aktive Entscheidung, da nicht dazuzugehören? Ich hoffe es, mit Bestimmtheit sagen kann ich es nicht. Hatte der Westen damit zu tun? Nein, zumindest da bin ich mir sicher.

Die Neunziger waren das entscheidende Jahrzehnt für den Osten

Weil ich all diese Fragen hatte, wurde die westdeutsche Universität mein Zufluchtsort. Ich arbeitete mich ganz neu in die Erforschung und das Verständnis dessen ein, was ostdeutsch sein könnte. Ich las mit Begeisterung Zonenkinder von Jana Hensel, Meine freie deutsche Jugend von Claudia Rusch, Wolfgang Englers Kunde von einem verlorenen Land. Und alles, was Ingo Schulze schrieb. Ich schrieb selbst, gefangen in einer Ambivalenz meines sich abschleifenden Ostdeutschseins, dass der Osten Labor sei für die Zukunft. Avantgarde nannte es Wolfgang Engler. Ich fand meinen Frieden. Aus der Ferne nahm ich zwar wahr, dass die NPD in Sachsen bei der Landtagswahl 2004 ein fast zweistelliges Wahlergebnis feierte. Aber ich hielt das nur für ein Aufbäumen, einen letzten Ausfluss dieser Neunzigerjahre.

Eben dieses Jahrzehnt nach der Wende ist die Basis dessen, worüber wir heute reden. Der Osten verwandelte sich im Eiltempo, Menschen verloren Jobs, Perspektive, Sinn. Lebensgeschichten wurden gebrochen, die Gesellschaft spaltete sich auf in jene, die sich als Gewinner der Wende sahen und jene, die sich als Verlierer fühlten. Und über allem der dröhnende Sound rechter Schläger auf der Straße, die angetreten waren, “national befreite Zonen” zu schaffen.

Dann kam Pegida

Was mir im Westen blieb, war wohltuende Distanz zu meiner Herkunft und ein Verdrängen jener Jahre. Doch dann kam Pegida. Plötzlich benutzte ich Worte, wenn ich über den Osten sprach, die ich mich immer bemüht habe, zu vermeiden: Rassismus, völkisches Denken, Rechtspopulismus. Die Kluft zu meinem Beobachtungsobjekt Ostdeutschland vergrößerte sich über Nacht rasant mit einer Mischung aus Wut, Traurigkeit und Unverständnis. Plötzlich fügte sich, was als Ahnung und Andeutung schon immer da gewesen war. Dass schon bei der Bundestagswahl 2013 in mancher sächsischen Kommune AfD und NPD zusammen über 15 Prozent der Zweitstimmen bekamen, dass die AfD schon damals ihre größten Erfolge im Osten feierte und dort neun ihrer zehn besten Zweitstimmenergebnisse holte, das ließ sich noch erklären. Die Sächsische Schweiz, so mancher Landstrich in Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern oder im brandenburgischen Grenzgebiet waren noch immer sicherer Hort für den nie ganz verschwundenen Resonanzraum rechten Denkens östlich der Elbe.

Aber Pegida – was poppte da auf? War das auch die Schuld des Westens? Wurden Ostdeutsche zur Beute von Rechtsextremen? Nein. Höcke und viele seiner Brüder im Geiste mögen zwar aus dem Westen stammen, aber wir im Osten haben sie dankbar angenommen und großgemacht. Wir haben ihn erbeutet.

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