/Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg : Gegen das Übersehen

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg : Gegen das Übersehen

Sie sind
direkte Nachbarn, das Museum für Kunst und Gewerbe und das Drob Inn, Hamburgs
Drogenkonsumraum. Doch ihre Welten sind maximal getrennt. Tulga Beyerle, die
neue Museumsdirektorin, möchte das ändern. Mit einer Ausstellung gegen das
Übersehen.

ZEIT ONLINE: Am Donnerstag eröffnet die
Ausstellung “Social Design” – mit einer kleinen Sensation. Museumsbesucher
können sich für eine Tour zur Suchthilfestelle Drob Inn anmelden. Inklusive des
Raums zum Heroinspritzen und Crackrauchen. Warum machen Sie das?

Tulga
Beyerle:
 Es geht
darum zu zeigen, wie Designer und Architekten das Leben der Menschen besser
machen können, mit pragmatischen Entwürfen soziale Probleme lösen helfen. Zu
sehen ist zum Beispiel ein mobiler Schlafwagen für Obdachlose. Bei dem Titel
und dem Anspruch fand ich, dass wir nicht nur über abstrakte Projekte reden
können. Direkt vor unserer Tür liegen ein paar heftige soziale Brennpunkte.
Wenn wir es ehrlich meinen mit dem Weltverbessern, müssen wir auch die Welt vor
unserer Tür einbeziehen.

ZEIT ONLINE: Immerhin sind Sie die erste
Direktorin, die sich beim Träger des Drob Inn, dem Verein Jugendhilfe, vorgestellt hat, um zu verstehen, was
die Sozialarbeiter dort machen… 

Beyerle: Offenbar ja, das hat mich
überrascht. Ich stamme aus Wien und habe vorher in Dresden gearbeitet. Zur
Vorbereitung auf meinen Posten bin ich ein halbes Jahr lang einmal im Monat
nach Hamburg gefahren, am Hauptbahnhof ausgestiegen und zum Museum gelaufen. Der
Bahnhof, all die Abhängigen, die ja dieselbe Route nehmen, das war heftig. Mir
ist aufgefallen, wie viele Leute hier so offenkundig schwer drogenabhängig
sind. Ich wollte wissen, was sie alle hier machen, was da los ist.

ZEIT ONLINE: Was haben Sie herausgefunden?

Beyerle: Drogenabhängige wird es immer geben, das kann
man nicht ändern. Aber man kann ändern, wie man damit umgeht. Die Mitarbeiter
dort gehen ganz pragmatisch Wege: Essen verkaufen, eine Dusche zur Verfügung
stellen, saubere Spritzen anbieten. Sie wissen, dass sie die Sucht
nicht verschwinden lassen können, sie ist viel zu stark. Aber
sie können die Rahmenbedingungen verbessern, in denen ihre
Klienten mit der Sucht leben. Das ist
sehr praktisch gedacht, ganz ähnlich wie in meinem ursprünglichen
Metier, dem Design.

ZEIT ONLINE: Sie haben Designer-Kollegen
eingeladen, den Vorplatz des Drob Inn ›menschenfreundlicher‹ zu gestalten. Wie
soll das funktionieren?

Beyerle: Ja. Wir haben das
Berliner Gestalter-Netzwerk ConstructLab gefragt. Das baut viel im
öffentlichen Raum, meistens mobile Lösungen zusammen mit den Anwohnern eines
Platzes oder Viertels. Design funktioniert nur dann gut, wenn man die
Bedürfnisse aller Betroffenen berücksichtigt. Was da jetzt passieren soll, ist
eine Art Nachbarschaftsinitiative. Das Gestalter-Netzwerk bringt das
Wissen über Materialien und Formen mit. Die Betreiber des
Drob Inn wissen, was in der Vergangenheit schon nicht funktioniert
hat. Und die Klienten können sagen, was Sie dort vermissen, wie man den
Aufenthalt auf dem Vorplatz der Beratungsstelle angenehmer machen kann.

ZEIT ONLINE: Der Vorplatz ist das, was man von Ihrer Tür aus sehen
kann, der Pulk von Junkies. Wie sieht der Platz heute aus?

Beyerle: Er ist sehr abweisend gestaltet. Da ist nichts
zum Sitzen, nichts gegen den Regen. Einfach nur Straßenbelag. Das ist Absicht,
damit dort kein festes Camp entsteht. Die Designer müssten also eine
Lösung finden, die beiden Seiten gerecht wird. Menschenwürdigere Bedingungen
für die, die sich dort treffen. Und gleichzeitig nicht zu einladend. Das ist
ein bisschen wie die Quadratur des Kreises … aber wenn es einfach wäre, hätten
wir ja keine international renommierten Experten gebraucht. Soweit wir
wissen, ist es weltweit das erste Mal, dass sich Gestalter Gedanken
machen, wie man einen Platz für Drogenkonsumenten baut.

ZEIT ONLINE: Wer bezahlt die Bauten?

Beyerle: Dafür gibt es noch keine Finanzierung. Ich
sehe uns auch nicht zuständig, das zu bauen oder eine Finanzierung zu finden.
Uns geht es da um Denkanstöße.

ZEIT ONLINE: Das wäre dann wieder
die Zuständigkeit des Senats. Sie glauben, dass das Ideensammeln
trotzdem etwas ändert?

Beyerle: Ich glaube, dass diesem zerrissenen Ort ein
wenig mehr Achtsamkeit sehr gut tun würde. Erstmal profitieren
alle von der nachbarschaftlichen Atmosphäre, um die wir uns gerade
bemühen. Und sollten die Ideen im Anschluss einen Geldgeber
überzeugen, umso besser für uns alle: Wenn die Menschen
gegenüber nicht mehr im Regen stehen müssen, dann strahlt das auch auf unsere
Besucher zurück.

Die Ausstellung “Social Design” ist ab dem 29. März im
Museum für Kunst und Gewerbe am Steintorplatz, zu sehen. Eintritt 12 Euro,
ermäßigt und am Donnerstag ab 17 Uhr 8 Euro, unter 18 Jahren frei. Die
Führungen ins Drob Inn wird es einmal im Monat geben, zum ersten Mal am
Sonntag, den 7. April 2019 um 15 Uhr. Eine Anmeldung über info@jugendhilfe.de oder
Tel. 040.851735-0 ist erforderlich, zugelassen sind ausschließlich
Ausstellungsbesucher. Treffpunkt ist das Museumsfoyer. Weitere Termine,
Veranstaltungen und ein Stadtplan mit ausgewählten Social
Design-Initiativen in Hamburg gibt es unter www.mkg-hamburg.de 

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