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Helm-Kampagne: Peinlich und altbacken

Helm-Kampagne: Alicija, Kandidatin von "Germany's Next Topmodel", durfte sich für die Kampagne ausziehen und einen Fahrradhelm aufsetzen.

Alicija, Kandidatin von “Germany’s Next Topmodel”, durfte sich für die Kampagne ausziehen und einen Fahrradhelm aufsetzen.
© Rankin/Runter vom Gas/dpa

Es gibt Peinlichkeiten, gegen die man sich kaum schützen kann. Der Mensch
stolpert, er bekleckert sich, trägt Spinatreste zwischen den Vorderzähnen und Toilettenpapier
am Schuh. Es gibt jedoch auch bewusste Entscheidungen. Wer sich etwa allmorgendlich einen
Fahrradhelm über den Kopf stülpt und infolgedessen leicht deppert aussieht, der weiß sehr
wohl, was er tut. Ein bisschen Selbstentstellung für höhere Sicherheit, so der Deal.

“Viele junge Menschen verzichten aus ästhetischen Gründen auf einen Helm beim Radfahren. Das wollen wir ändern!”, so kündigte das Bundesverkehrsministerium Ende vergangener Woche voller Tatkraft eine Art Anti-Peinlichkeits-Aktion für Fahrradhelme über seinen Twitter-Account an.

Was zunächst aussah wie die Kampagne für eine etwas zweifelhafte neue Form der Verhütung – junge Models, fotografiert beim Knutschen mit dem Freund im Bett, nackt bis auf die Unterwäsche und eben: einen Fahrradhelm –, sollte die Jugend von heute wachrütteln. “Tragt Helm, und zwar selbstbewusst”, ruft der Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) in einem mit peppiger Musik unterlegten Videoclip auf Twitter und wedelt dabei mit seinem Werbeposter.
“Looks like shit – but saves my life”
prangt als Motto auf den Plakaten, die in Kooperation mit Heidi Klums Castingshow
Germany’s next Topmodel
entstanden und in diesen Tagen in Deutschlands Großstädten aufgehängt werden.

Doch bevor auch nur das erste Plakat hängt, hat “Helme retten Leben” bereits eine riesige Welle der Empörung ausgelöst. “Peinlich, altbacken und sexistisch” nannte SPD-Fraktionsvize Katja Mast die auf Twitter gestartete Kampagne, ein heftiger Shitstorm ergoss sich über Scheuer, dessen Idee als “dumm”, “doof”, “albern” und “unnötig” bezeichnet wurde. Scheuer, der zwar mit etwas, aber vielleicht nicht derart viel Wind gerechnet hatte, reagierte trotzig: Am Ende zähle die Aufmerksamkeit, als Aufreger habe seine Aktion immerhin ihren Zweck erfüllt.

Hat sie das? Gilt auch für einen Verkehrsminister die Regel, dass jede PR gute PR ist? Und ist Scheuer nicht einfach das nächste Opfer eines hypersensiblen Zeitgeists, dessentwegen zuletzt die Immobilienfirma Engel & Völkers für ihr zum Weltfrauentag getwittertes Foto abgestraft wurde, das ihren durchweg männlichen Vorstand zeigte?

Die Aufregung um den Verkehrsminister stellt einen weiteren Präzedenzfall sexistisch verunglückter Öffentlichkeitsarbeit dar. Was vor großem Publikum sagbar oder zeigbar ist, was als frauenverachtend aufgefasst wird und was nicht, verschiebt sich, mal mehr, mal weniger hysterisch begleitet, aber doch immer: glücklicherweise. Was an der Aufregung um die Helmkampagne allerdings bemerkenswert ist, ist die Hartnäckigkeit, mit der Sender und Empfänger nicht zueinanderfinden. Mehr als eine Diskussion über Sexismus ist diese Debatte ein Dokument der Ungleichzeitigkeit.

“Es ist 2019!”, keine andere Formel hallte Scheuer so laut entgegen. Ein Satz, der aus Sicht der Kritiker keiner weiteren Erklärung bedurfte. Es ist 2019 – jeder, der das weiß, weiß auch, dass es einfach keine gute Idee mehr sein kann, auf nackte Frauenhaut und Schlafzimmerblick zu setzen, um “wachzurütteln”. War die Kampagne für Scheuer, der hinter seinem Plakat stolz verkündete: “Der Slogan entspricht nun wirklich nicht ganz dem üblichen Behördendeutsch”, etwas ganz Neues, Aufregendes, stellte sie für sein Publikum das ganz Alte, längst Überkommene dar, dem man fassungslos wie einer Postkutsche gegenüberstand und sich fragte, warum und aus welchem Museum dieses historische Gefährt noch einmal herausgerollt werden musste. Dass bei der Kampagne zwischen Sender und Empfänger gefühlt Jahrhunderte aufeinanderprallen, liegt nicht nur an den Bildern. Für Plattitüden kann man sich entschuldigen und geloben, sich fortan in Sensibilität zu üben. Aufschlussreich war der Tonfall von Scheuers Reaktion, der weniger antwortend als fragend war: Man habe doch nun mal nicht nur junge Frauen, sondern auch Männer fotografiert? Es sei doch alles nur lustig gemeint, wenn nicht gar ironisch? Und wie, wenn nicht mit groben erotischen Reizen, solle man sonst die jungen Menschen erreichen, die im Internet nur mehr auf die Mädchenquälerin Heidi Klum hörten, heutzutage?

2019, beide Seiten beziehen sich darauf. Zeitrechnung, das zeigt die Helmdebatte, kann etwas
sehr Relatives sein.

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