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Brexit: “Ich bekomme Morddrohungen, weil ich Politiker bin”

Phillip Lee, der viele Jahre als Arzt gearbeitet hat, ist in der Konservativen Partei in Großbritannien der Gegenpol zu den extremen Brexiteers um Boris Johnson und Jacob Rees-Mogg. Er kämpft für einen weniger radikalen Kurs. Insider halten ihn für einen möglichen Nachfolger von Theresa May. Im Sommer 2018 war der einflussreiche konservative Abgeordnete das erste Regierungsmitglied, dass Mays Kabinett verlassen hat.

Kurz bevor das Parlament erneut über einen Ausweg aus dem Brexit-Chaos abstimmen soll, treffen wir uns im Abgeordnetenhaus in Westminster. Lee schaut während des Interviews mehrmals auf sein Smartphone. Dort bespricht er mögliche parteiübergreifende Koalitionen, um eine Lösung zu ermöglichen.

ZEIT ONLINE: Herr Lee, Sie sind ja Arzt …

Phillip Lee: Ja, freitags kümmere ich mich meist immer noch um meine Patienten.

ZEIT ONLINE: Wenn der Brexit eine Krankheit wäre, welche wäre es?

Lee: Das ist eine harte Frage. Ich bin nicht sicher, ob man den Brexit als Krankheit bezeichnen kann. Den Leuten wurde unter dem Wort Brexit die Illusion verkauft, dass irgendetwas besser werden kann. Das ist ein psychologisches Problem, ausgelöst von den Politikern, die für den Brexit geworben haben, ohne die Fakten zu kennen. Den Brexit-Wählern wurde etwas versprochen, das nicht eingehalten werden kann. Aber sie sind nicht krank.

ZEIT ONLINE: Das sagt auch niemand.

Lee: Ihre Frage ist schon verständlich: Im Ausland denken die Leute ja, wir sind durchgedreht. Was ist mit den Briten passiert? Das fragt man sich in der Welt. Ich muss mich für dieses Chaos entschuldigen. Aber wir müssen jetzt durch diesen harten Prozess gehen, auch wenn die gesamte Öffentlichkeit inzwischen zutiefst verärgert, böse und verwirrt ist. Der Brexit zeigt uns eine größere chronische Krankheit, die über viele Jahre unsere Politik befallen hat. Ich bekomme Morddrohungen, weil ich Politiker bin. Die Leute haben mich angegriffen und bedroht, weil sie meine Analyse des Brexit-Chaos nicht akzeptieren wollten.

ZEIT ONLINE: Wie bitte?

Lee: Es gab Artikel mit Nazivergleichen in Zeitungen, Morddrohungen und solche Sachen. Leute wollten täglich meine politische Autorität untergraben. Aber meine Analyse war treffend. Die Frage ist nun, wie wir von diesem Chaos aus weitermachen. Ein erheblicher Teil meiner Partei möchte auf einen No-Deal-Brexit zusteuern. Doch ich denke, das wäre falsch für mein Land.

ZEIT ONLINE: Sie sind seit 1992 Mitglied der Konservativen Partei. In welchem Gesundheitszustand befindet sich Ihre Partei heute?

Noch bevor die Frage zu Ende formuliert ist, beginnt Lee zu lachen, es klingt zynisch.

Lee: Ja, seit einem Vierteljahrhundert bin ich in dieser Partei.

ZEIT ONLINE: Lange genug, um nun auszutreten?

Lee: Nein. Ich möchte die Partei zurück, der ich 1992 beigetreten bin. Die Konservative Partei weiß, dass sie ein Problem hat. Aber sie weiß noch nicht, ob dieses Leiden tödlich enden wird. Wir sind noch in der Phase der Diagnose. Noch versuchen wir herauszufinden, wie wir das Problem behandeln können. Wenn uns das nicht bald gelingt, kann es das Ende bedeuten.

ZEIT ONLINE: Waren Sie deshalb am vergangenen Sonntag auch im Wochenendwohnsitz von Theresa May? Andere hochrangige Mitglieder der Konservativen Partei haben sich dort angeblich getroffen, um May zum Rücktritt zu drängen.

Lee: Ich beantworte diese Frage nicht.

ZEIT ONLINE: Boris Johnson war dort, Jacob Rees-Mogg war dort …

Lee: Die waren dort. Und sie haben das bewusst an die Öffentlichkeit gegeben.

ZEIT ONLINE: Weil sie wollten, dass in den Medien darüber berichtet wird?

Lee schweigt kurz, seine Körpersprache signalisiert Zustimmung.

Lee: Ich rede grundsätzlich nicht über private Treffen in der Öffentlichkeit. Deshalb sind sie nämlich privat. Ich leake keine privaten Treffen mit der Premierministerin. Es gibt hier zu viele Dinge, die bewusst von Politikern mit einem Ziel an die Öffentlichkeit gegeben werden. Es sagt ja schon einiges aus, wenn das einzige Treffen der Premierministerin, von dem wir gehört haben, mit den Brexiteers gewesen sein soll.

ZEIT ONLINE: Wo ist eigentlich das Problem, wenn die Öffentlichkeit erfährt, wer sich mit wem trifft?

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