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Michael Jackson: Wann wird der Fan zum Komplizen?

Es gibt viele Erzählungen über Michael Jackson. Zwei davon prallen in diesen Tagen ungebremst aufeinander und hinterlassen beim Zuschauer mitunter so etwas wie ein Schleudertrauma: Einerseits berichten im US-amerikanischen Dokumentarfilm Leaving Neverland zwei Männer davon, wie der Popsänger sie als Kinder jahrelang sexuell missbraucht haben soll; andererseits versammelt die Bonner Bundeskunsthalle unter dem Titel Michael Jackson: On the Wall der Exponate, die Jacksons Einfluss auf die Kunst belegen sollen. Kann man sich diese Ausstellung überhaupt ohne Beklemmungsgefühle ansehen?

In Bonn ist alles auf den Mythos Michael Jackson ausgerichtet, im Mittelpunkt der Schau steht die abstrakte Ikone eines Popstars, eine überlebensgroße Kunstfigur. Im Film hingegen geht es um sexuelle Gewalttaten, die der sehr konkrete Mensch hinter dieser Kunstfigur begangen haben soll. Dieser Gegensatz zeigt sich auch in der Wahl der ästhetischen Mittel beider Projekte: Hier dokumentarische Kinderfotos der Opfer und Betroffenen, dort sämtliche Register der kanonischen Kunst. Der Film will verhindern, dass die reale Person, die für das Leiden realer Menschen verantwortlich ist, hinter der Kunst verschwindet. Das Museum dagegen erscheint als Ort, wo im Interesse der Kunst die Person zum Verschwinden gebracht werden soll.       

Die Bundeskunsthalle scheint sich der moralischen Probleme, die mit dieser für die Veranstalter wohl auch überraschenden Konstellation einhergehen, bewusst zu sein. Eine Texttafel gleich zu Beginn des Rundgangs beteuert, die Vorwürfe gegen Michael Jackson seien “schockierend”. Ansprechpartnerinnen und Diskussionsabende sollen auf den Gesprächsbedarf reagieren, der sich durch den Dokumentarfilm ergeben habe. Gleichzeitig wird darauf verwiesen, dass es sich um eine Ausstellung handelt, die schon vor dem Erscheinen von Leaving Neverland in London und in Paris zu sehen war und die sich dezidiert nicht als “Hommage” versteht, sondern als Überblick über den Widerhall des “Phänomens Jackson” in der zeitgenössischen Kunst. Man sei sich allerdings darüber im Klaren, dass eine “vollständige Loslösung beider Aspekte” nicht möglich sei. 

Alle Exponate unter neuen Vorzeichen

Diese etwas beflissen wirkende Randnotiz kann trotz aller Rücksichtsrhetorik nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie vor allem auf eine Planungskatastrophe reagiert: Die Ausstellung wurde anlässlich der neuerlichen Vorwürfe gegen Michael Jackson nicht grundlegend überarbeitet. Dementsprechend ziehen sich Veranstalter mit ihrer Argumentation auf den kunstautonomen Standpunkt zurück, der ein Phänomen von einer Person unterscheiden möchte. Wie schwierig die Loslösung von Werk und Autor aber tatsächlich ist, merkt das Publikum ganz deutlich, wenn es sich die ausgestellten Werke ansieht. Die Schilderungen des Dokumentarfilms, die sich mit grässlicher Zwangsläufigkeit in das Archiv der Erinnerungen eingebrannt haben, bestimmen die Wahrnehmung der gesamten Ausstellung.

"Equestrian Portrait of King Philip II (Michael Jackson)" von Kehinde Wiley

“Equestrian Portrait of King Philip II (Michael Jackson)” von Kehinde Wiley
© Kehinde Wiley

Bilder von Jackson als frühneuzeitlicher König, auf einem Pferd reitend, mit Putten im Hintergrund, oder als Engel, der den Teufel bezwingt, erfüllen nicht mehr die Funktion ironisch-liebevoller Überhöhung. Als Reflexionen über moderne Mythen haben sie plötzlich einen anderen Stellenwert; werden zu Statements über die Machtstrukturen, die dieser Mythos erzeugt, und die Opfer, die er gefordert hat. Eine Reihe von Bildschirmen, die verschiedene Fans zeigen, wie sie lustvoll Jacksons Lieder singen, bildet einen geisterhaften Chor, der vor allem Beklommenheit auslöst. Ähnliches gilt für einen Raum, der sich den Augen des Künstlers widmet, die von allen Wänden auf die Besucher und Besucherinnen hinabstarren. Das letzte Exponat der Ausstellung bringt diese dunkle Ironie in besonderer Weise zum Ausdruck. In Lorraine O’Gradys The First and the Last oft the Modernists werden Bilder von Charles Baudelaire und Michael Jackson in verschiedenen Lebensphasen nebeneinandergestellt – ein Versuch, den Popstar in den Kanon der Moderne einzugemeinden. Stattdessen führt diese an sich schon etwas holprige Idee nun dazu, Jackson mit der Aura des Bösen, des Poète maudit aufzuladen, die Baudelaire zu seinen Lebzeiten umgab.

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