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Bürgerkrieg in Syrien: Es geht mir gut

Unsere Autorin, eine Schriftstellerin aus Damaskus, arbeitet jetzt dank eines Heinrich-Böll-Stipendiums in Deutschland. Dies ist ihr letzter Text, den sie schrieb, bevor sie Syrien verließ.

Es geht mir gut. Ich schreibe die ganze Zeit. Ich schreibe und veröffentliche und zerreiße, was ich geschrieben habe, und schreibe es neu. 

Und du, wie geht es dir?

Uns allen hier geht es gut. Wir stolpern über die Vergangenheit und übereinander. Wir sind zwar weniger geworden seit dem Krieg, aber das Gedränge wird trotzdem immer schlimmer.

Die Cafés sind jetzt noch voller als früher, sie sind voll mit Verrückten, Wahrsagern, Handleserinnen und Prostituierten, und die Mädchen aus der Kriegsgeneration sind jetzt Frauen. Dazu kommen die Stammgäste: Dichter, die noch nichts gedichtet haben, und andere, die ihre Gedichte zwar vorgetragen, aber nie aufgeschrieben haben und denen ihre Verse gestohlen wurden oder die sie im Rausch verkauft haben. Und überall hängen Fotos. Fotos von Müttern, Vätern oder Familien, die ihre Kinder suchen, von Toten oder Vermissten und von Märtyrern, bei denen man nur vermuten kann, wer sie getötet hat oder wen sie getötet haben.

Rabab Haider ist Übersetzerin, Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie stammt aus Damaskus und lebt zurzeit als Heinrich-Böll-Stipendiatin in Langenbroich. Sie ist Mitglied des Syrian Women’s Network und Gastautorin von “10 nach 8”.
© privat

Die Leute sind total verstopft. Ich meine die Straßen. Sie sind voll mit Kriegsversehrten: Halblebendige, Halbüberlebende und Halb-“Gott-sei-Dank-es-geht-schon”-Leute. Man sieht so viele Leute um sich herum, dass man denkt, alle seien lieber im Freien als zu Hause. Oder sie wurden von den Häusern, in denen sie gelebt haben, genarrt. Vielleicht haben die Häuser ihre Bewohner dazu überredet, einmal nach draußen an die Luft zu gehen, haben dann ihre Türen verschlossen und sind anschließend in die Luft geflogen. Wirklich alle Leute sieht man im Freien: Familien in Grünanlagen, die auf Wolken starren und auf die Sonne warten, Eltern, die vor Hauseingängen auf die Sprechstunde beim Kinderarzt warten, und Kinder, die auf ihre Mütter warten, die wiederum darauf warten, was ihnen der Arzt als Grund dafür nennen wird, dass ihre Männer plötzlich impotent sind.

In den Schaufenstern der Friseursalons liegen lauter Haarverlängerungen. Man kann sich auch künstliche oder gebrauchte Fingernägel kleben lassen oder Augen leihen. Allen geht es gut. Den Herzen der Leute geht es auch gut, denn es sind Steppenherzen, aus jener Steppe, an die niemand mehr denkt. Andere haben Geliebte verloren und leben nur noch von ihrem Herzbeutel. Man sieht es in ihren Augen oder man hört es, wenn sie atmen. 

Was es aber auch gibt – ich will dir keine Angst machen –, aber was es auch gibt, ist der Tod: in Gestalt von versprengten Revolutionären, die schwarze Magie quält, oder von Resten einer Armee, die ihre Soldaten und Bürger geopfert, die aber auch gesiegt hat.

Uns Frauen geht es jedenfalls gut hier. Wir lecken unseren Männern die Köpfe und unsere Männer lecken ihre Furcht.

Ich habe mir vor Kurzem verboten, zu schreien. Vorher habe ich mir schon das Weinen verboten. Ich habe meinen Augen beigebracht, wie man Tränen herunterschluckt. Augen auf und Tränen runter, runterschluckennnnnnnn!

Ich schreibe und zerreiße, was ich geschrieben habe, und schreibe es neu.

Und du, wie geht es dir? Du wirkst unsicher, deine Augen sehen aus wie Vögel, die gleich wegfliegen. Dein Bild auf dem Monitor ist eingefroren. Aber du musst das auch gar nicht alles wissen.

Ich weiß, dass du Henna magst. Aber die Hennamalerinnen sind weg, es gibt nur noch Klagefrauen. Deswegen habe ich mir selbst eine Hennapampe gemacht und mir ein Tattoo damit gemalt – siehst du, hier. Nein, du kannst es nicht sehen, meine Paste hält ja kaum.

Ich hab mir vor dem Spiegel ein wenig Make-up aufgetragen, aber das wirst du bei dir auf dem Monitor wohl auch kaum sehen.

Was da mit meiner Haut ist? Ach, das hab ich mir versehentlich mit dem Fingernagel abgekratzt. Hat aber nicht wehgetan.

Ich habe mir Tauben geschlachtet und sie haben dabei keinen Pieps von sich gegeben.

Wenn ich Katzen auf den Arm nehme, ist es ihnen gleichgültig.

Ich habe neulich kleine Füchse gefunden. Sie lagen tot in der Landschaft. Ich habe ihnen die Herzen herausgerissen und darüber geschrieben.

Meinen Nachbarn, der schon seit Ewigkeiten bettlägerig war, habe ich getötet. Ich habe ihn dahinsterben lassen. Er schrie nicht, er weinte nicht, und niemand hat sich bei mir bedankt.

Du musst auflegen, du musst dich wieder einmal um irgendetwas Wichtiges kümmern.

Aber mir geht es gut. Ich schreibe die ganze Zeit. Ich schreibe und veröffentliche, ich zerreiße, was ich geschrieben habe, ich schreibe wieder, ich töte und veröffentliche.

Und mein Herz ist – anders als deins – aus Stein.

Aus dem Arabischen von
Günther Orth

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