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Big Bands: Zwischen E und Easy

Paradiesvögel flattern; im Regenwald ist es ein Jubilieren; der Dschungel
tobt. Die Norweger vom kleinen Osloer Label für Jazz- und Improvisationsmusik namens Hubro (zu
Deutsch: Uhu) lieben es bunt und wild, dieser Tage erscheint
The Exotica Album.
Das
hat sich Øyvind Torvund ausgedacht, ein weit gereister Komponist, dessen Horizont von den
Donaueschinger Musiktagen über Henry Purcell bis hin zum Free Jazz reicht. Kongenial umgesetzt
hat es, dirigiert von Trond Madsen, das 16-köpfige Bit20 Ensemble, das in 30 Jahren an die 400
Werke der Neuen Musik aufgenommen hat. Sie holen einen Modularsynthesizer hinzu, und schon ist
in der Tiki-Lounge der Teufel los. Durch flauschige Südseeszenarien blasen Naturgewalten, als
zürne John Zorn persönlich, und Geräuschekunst à la Karlheinz Stockhausen kriecht aus dem
Deko-Unterholz.

Violinenschleier und Vibrafonwolken versetzen uns in die Klangkulisse von Disneys
Dschungelbuch,
bis mittendrin Sun Ras Raumschiff landet und der Hamburger Jung Bert Kaempfert selig aus dem Easy-Listening-Himmel grüßt.

Noch immer oder schon wieder hat der Jazz der großen Bands viele Fans. Ein Comeback der Swing-Ära steht freilich kaum zu erwarten. Stattdessen finden sich Big Bands heute in den Independent-Szenen und als engagierte Einzelprojekte.

In der Schweiz wandert die 34-jährige Pianistin und Komponistin Luzia von Wyl gern in den Bergen und singt neue Ideen nebenher ins Mobiltelefon. Früh lernte sie bei Konzertbesuchen in ihrer Heimatstadt Luzern die besten Klassikorchester kennen und verliebte sich in die Farben mächtiger Klangkörper: “Ich wollte schon als Mädchen komponieren. Wir hatten zu Hause viele Instrumente, und gemeinsam mit meinen Geschwistern habe ich viel improvisiert. Wenn ich mal groß bin, will ich meine Stücke aufschreiben, dachte ich.” Heute leitet sie das Luzia von Wyl Ensemble, das ohne einen Dirigenten auskommt. Umso mehr sind die Bandleaderin und ihre neun Musiker auf eine enge Binnenkommunikation angewiesen, die den Graben zwischen Komposition und Improvisation nicht von oben herab überwindet.

Auf dem aktuellen, zweiten Album
Throwing Coins
geht es auf eine von Selbsterlebtem inspirierte musikalische Reise vom römischen Trevi-Brunnen bis in die Wüste. Die Arabesken im Stück
Antumbra
entsteigen einem Ritualtanz der Flöten mit der Bassklarinette, schillernd schön zwischen Antike und Moderne. Die Rhythmussektion schmeißt sich an die polyphone Stimmführung heran, kann aber auch Rock. Marimba und Klavier führen erregte Dispute und nachbarschaftlichen Small Talk über kulturelle Grenzen hinweg. Das Fagott, selten genug in einem Jazz-Kontext, lässt hinter dem Prokofjew-Großväterlichen die Dramaqueen vermuten.

Ob sparsam, spirituell oder in Gruppenekstase – erst die plötzlichen Abgründe einer Musik verbinden uns mit dem Unerhörten in der eigenen Seele. Das mag sich auch das junge Berliner Stegreif.orchester mit seinen fetzigen Anti-Establishment-Projekten #freebeethoven oder #freebrahms denken. Ebenfalls genresprengend zwischen Klassik und Jazz unterwegs ist das Berliner Andromeda Mega Express Orchestra, das schon mit den Electronica-Bands The Notwist und Efterklang kooperiert hat. Noch anderes präsentiert die Jazzrausch Bigband. Die mal 20, mal mehr Musiker um den Posaunisten Roman Sladek zogen als erste Resident Big Band in einen Technoclub ein: Im legendären Harry Klein in München groovt ihre wuchtige Bläserfraktion zu synthetischen Beatgewittern. Nachdem das auf Jazzfestivals von Shanghai bis Nairobi Furore machte, stehen jetzt weitere Auftritte in Deutschland und Europa an.

Øyvind Torvund: The Exotica Album (Hubro)
Luzia von Wyl Ensemble:
Throwing Coins (Hatology)
Jazzrausch Bigband: Dancing Wittgenstein (Jazzrausch)

Hits: 10