/Kap Hoorn: Schöne Grüße vom Weltende

Kap Hoorn: Schöne Grüße vom Weltende

“Hier drin stecken 1.600 PS”, sagt Luciano Martinez stolz und
klopft mit der flachen Hand auf die schwarze Kunststoffverkleidung
des Motors am Heck des Schlauchbootes. Der Chilene begleitet die
Landausflüge an Bord der Ventus Australis. Das nur knapp 90 Meter
lange Expeditionskreuzfahrtschiff ist extra für das schwierige
Seegebiet in Patagonien gebaut worden und startet aus den
Hafenstädten Punta Arenas oder Ushuaia. Dank der wendigen schwarzen
Gummibeiboote kommen die Passagiere an Orte, die sonst nicht
erreichbar sind. Die Kräne auf dem hinteren Deck beginnen zu
brummen. Sie lassen die acht Schlauchboote für die nächste Tour ins
eiskalte Wasser des Fjords.

Es sind nur zwei Grad über null. Auf dem
Außendeck stehen die 200 Passagiere in ihren orangen Schwimmwesten
eng zusammen. Es sieht fast aus wie eine Pinguinkolonie und klingt
auch ein bisschen so. 16 Nationalitäten von den USA über die
Schweiz und Russland bis nach Japan und Australien reden
durcheinander. Die Passagiere sind von überall auf der Welt
angereist, um das Ende der Welt zu sehen: Kap Hoorn, jene Insel, die
die Südspitze Südamerikas markiert.

Bis dahin ist es noch ein Stück, das heutige Ziel ist erst einmal
der Pia-Gletscher. Die Schlauchboote sind startklar, jeweils zwölf
Passagiere setzen sich auf die Außenkante. Beim Aufrücken
quietscht die regenfeste Kleidung über die schwarze
Gummihülle. Jeder greift nach den kurzen Halteseilen. Die Info von
den 1.600 PS im Außenborder hat sich offenbar herumgesprochen.

Kap Hoorn: Die Ventus Australis liegt im Beagle-Kanal zwischen Argentinien und Chile.

Die “Ventus Australis” liegt im Beagle-Kanal zwischen Argentinien und Chile.
© Nicole Schulze-Aissen

In schneller Fahrt geht es über das dunkle Wasser. Das Boot schießt
über eine Welle und schlägt wieder auf. Gischt fliegt über den
Bug. Der Fahrtwind kneift ins Gesicht. Links und rechts ziehen die
schneebedeckten Berge Patagoniens vorbei. Als sich die Bucht zum
Pia-Gletscher öffnet und der Außenbordmotor blubbernd verstummt,
herrscht Schweigen.

Auf Darwins Spuren

60 Meter hoch ragt die grün-blaue Eiswand des Gletschers vor uns
auf, zerklüftet von Spalten und Rissen. Die Kuppen der umstehenden
Berge sind in Nebel gehüllt. Wie eine unaufhaltsame Armee schieben
sich die gewaltigen Eismassen daraus hervor, drängen von den
felsigen Hängen zum Meer. Von rechts schießt ein gigantischer
Wasserfall aus dem Eis hervor und schäumt das Wasser auf.

Fast 26.000 Quadratkilometer Gletscher-Eisfläche gibt es in Chile.
Gut 90 Prozent davon in Patagonien. Einige der Gletscher schmelzen
aufgrund der Klimaerwärmung in rasantem Tempo. Andere wiederum
werden größer – wie der mächtige Garibaldi-Gletscher, den das
Schiff tags darauf erreicht. Die Ventus Australis hat nur 3,6 Meter
Tiefgang und schiebt sich mit ihrem blau-weißen Rumpf bedächtig
durch die verwinkelte Welt der patagonischen Inseln, Kanäle und
Fjorde.

Kap Hoorn: Manche schmelzen, andere wachsen: Patagoniens Gletscher.

Manche schmelzen, andere wachsen: Patagoniens Gletscher.
© Nicole Schulze-Aissen

An Bord ist auch
der spanische Eisforscher
Eñaut Estibaritz. Er nutzt die Schlauchboottaxis, um seine
Messsonden und Kameras im patagonischen Eis zu installieren. Er will
herausfinden, warum sie sich so unterschiedlich verhalten. “Während
der Garibaldi-Gletscher wächst, hat etwa der Alemania-Gletscher
extrem Substanz eingebüßt. Der mit 100 Quadratkilometern Fläche
drittgrößte Gletscher Patagoniens hat in 50 Jahren gut 200 Meter an
Dicke verloren”, erzählt er. Eine Erklärung dafür hat er noch
nicht.

Die Ventus Australis macht sich auf den Weg durch den Beagle-Kanal.
Mit dem gleichnamigen englischen Segelschiff ist hier auch Charles Darwin entlanggefahren, 1831 ankerte sein Schiff in der
Wulaia-Bucht. Langes dichtes Gras, knorrige windschiefe Laubbäume,
Felsen mit Flechten darauf – dem berühmten Evolutionsforscher muss
sich vor bald 200 Jahren ein ähnliches Bild geboten haben. Ob der
Himmel damals auch so blau war?

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