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EU-Urheberrecht: Sie sind keine Bots

Markus Reuter steht auf einem kleinen roten Lastwagen am Potsdamer Platz. Die Planen
sind hochgerollt, an den Seiten hängen Plakate mit Aufschriften wie “Stop
Uploadfilter”, “Fuck Google, Facebook, Amazon”, “#NiemalsCDU”. Um den Wagen
herum stehen tausende Menschen, sie alle sind an diesem sonnigen Samstagnachmittag
gekommen, um gemeinsam gegen die geplante EU-Urheberrechtsreform zu demonstrieren.

“Wir
haben schon gewonnen, selbst wenn wir am Dienstag verlieren!”, ruft Reuter,
Mitgründer des Vereins Digitale Gesellschaft. “Wir haben gelernt, dass wir
etwas verändern können: Wir können Nein sagen, und dieses Nein wird auch
gehört!” Das Publikum ist so groß, dass das, was Reuter sagt, in den hinteren
Reihen kaum zu verstehen ist. Doch die Botschaft kommt an. Die Menschen
jubeln, sie pusten in ihre Trillerpfeifen, sie skandieren “Wir wollen keinen
Artikel 13” und “Nie mehr CDU!”.

Rund 30.000 Menschen sind nach Angaben der Veranstalter in Berlin zusammengekommen, die Polizei sprach von mehr als 10.000. Auch in anderen deutschen Städten
demonstrierten am Samstag Tausende, genauso in Ländern wie Polen und
Tschechien, den Niederlanden, Österreich und Schweden. Die Aktionen sind das
Finale einer Serie von Demos, die seit Mitte Februar fast wöchentlich stattfinden.
Damals hatten sich Rat, Kommission und Parlament auf den endgültigen Text für
die umstrittene EU-Urheberrechtsreform
geeinigt. In der kommenden Woche wird nun das europäische Parlament abstimmen: Kommt der jetzige Text durch, tritt die
Richtlinie in Kraft. Dieser Samstag ist die letzte Gelegenheit, sich noch
einmal dagegen zu stellen, noch mal ein Zeichen zu setzen. 

Urheberrecht – Zehntausende protestieren gegen Artikel 13
In ganz Deutschland haben Menschen gegen die geplante Urheberrechtsreform der EU demonstriert. Sie warnen vor möglichen Uploadfiltern auf Plattformen wie Youtube.

© Foto: Christoph Soeder/dpa

“Wir wurden nicht ernst genommen”

Zahlreiche Menschen in Berlin und auch in anderen Städten wollen genau das tun. Während die Demo vom Potsdamer Platz zum Brandenburger Tor zieht, geben die Organisatoren vom Lastwagen aus immer wieder lautstark die Teilnehmerzahlen der Proteste aus anderen Städten durch: “15.000 in Köln!” “5.000 in Frankfurt!” “10.000 in Hamburg!” “40.000 in München!”  “2.000 in Kiel!” “9.000 in Leipzig!” Die Polizei schätzt die Demonstrationen teils deutlich kleiner ein, aber das ist hier egal. “Wir sind viele, wir sind laut, weil ihr uns die Freiheit klaut”, skandieren die Protestler.  

Für
besonders großen Unmut sorgt bei den Demonstrantinnen und Demonstranten der
Artikel 13 der Reform, der in der finalen Fassung nun Artikel 17 heißt. Lädt jemand
auf einer Plattform wie YouTube urheberrechtlich geschütztes Material illegal hoch,
sollen die Portale künftig haftbar dafür sein. Sie müssten daher Rechteverletzungen
verhindern, bevor sie passiert sind – und zwar “nach Maßgabe hoher branchenüblicher
Standards”, wie in der Richtlinie heißt.

Kritikerinnen
und Kritiker fürchten, dass das auf Uploadfilter hinauslaufen würde. Technologien
also, die Inhalte automatisiert bewerten und freischalten oder sperren. Solche
Systeme sind allerdings fehleranfällig, sie können nicht zwischen einem Nutzervideo,
einer Satiresendung oder Berichterstattung unterscheiden. Im schlimmsten Fall,
so die Angst der Reformgegner, würde die Meinungs- und Kunstfreiheit eingeschränkt.

“Anbieter wie große Verlage, Filmverleihe, Plattenfirmen oder
professionelle YouTuber werden mehr Ressourcen zur Verfügung haben, um
sicherzustellen, dass ihre Inhalte den Filtern entgehen werden”, sagt
Tobias Matzner, Professor für Medienwissenschaften an der Universität Paderborn. Für Laien hingegen könne das schwieriger
werden. Das sorge für eine neue Art von Macht, die auf ökonomischen
Entscheidungen beruhe statt auf gesellschaftlichen Werten wie
Demokratie, Meinungs- und Informationsfreiheit: Wer Geld habe, werde
seine Nachricht einfacher verbreiten können.

Es
ist genau diese Sorge, die die Menschen auf der Demonstration in Berlin
beschreiben. “Der Artikel 13 schränkt die Meinungsfreiheit ein”, sagt Luca, 14
Jahre alt, Schülerin. Sie demonstriert gemeinsam mit ihrer Freundin Marlene.
Der 20-jährige Max, Produktmanager bei einem Start-up, sieht in dem Artikel
einen ersten Schritt hin zu weiteren Filtermechaniken. Christian, 53 Jahre alt,
fürchtet einen “Monopolismus von Meinung”, er meint damit, dass die großen
Plattformen die Hoheit darüber erhalten, was Menschen posten dürfen und was
nicht. Tabea demonstriert mit, um von den Politikerinnen und Politikern gehört
zu werden: “Wir haben ein Anliegen vorgetragen, wurden aber nicht ernst
genommen”, sagt die 21-jährige Biologiestudentin.

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