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Z2X: “Wo sind eigentlich die Visionen?”

Ein EU-Kodex gegen Hass im Netz. Eine App für Jugendliche in Krisen. Eine Rechtsform für Algorithmen. Bei Z2X Digital diskutierten 100 junge Expertinnen Zukunftsideen.

22. März 2019, 18:51 Uhr

Z2X


© Alexander Probst für ZEIT ONLINE

“19. September 2020, mein Staubsaugerroboter hat gerade den Grundriss meiner Wohnung an Ikea verkauft”, sagt Innovationsforscherin Julia Kloiber. “Wenn wir über digitale Themen sprechen, dann über düstere Szenarien – wo sind eigentlich die Visionen?”

Kloiber eröffnete mit ihrem Vortrag über den aktuellen Mangel an optimistischen Zukunftsbildern für Digitalisierung und Technologie die Veranstaltung Z2X Digital, die an diesem Freitag in Berlin stattfand. Auf Einladung von ZEIT ONLINE trafen sich 100 Vordenkerinnen und junge Experten im Alter zwischen 20 und 29 Jahren und tauschten sich unter anderem über wirksame Maßnahmen gegen Hass im Netz aus oder diskutierten, wie Nutzer die Kontrolle über die Datenspuren behalten können, die sie im Netz hinterlassen. Z2X Digital war der erste von drei Z2X Summits – Veranstaltungen, die sich innerhalb der Festivalreihe Z2X auf je ein Thema konzentrieren. Z2X Bildung und Z2X Europa folgen am 5. und am 26. April.

2086: Eine Utopie ohne Müll

Mit ihrer Staubsaugerroboter-Dystopie will Julia Kloiber, derzeit Senior Fellow der Mozilla Foundation, zeigen, dass sich technologischer Wandel auch entlang der Geschichten vollzieht, die sich in der Öffentlichkeit verbreiten. Und die seien, sagt Kloiber, derzeit eben vor allem dystopisch. Es fehle die Vorstellung von einer Welt, in der Technologie uns freier mache. Die erste Geschichte liefert sie in ihrem Vortrag selbst: “2086: Ich überlege seit Stunden, in welchem Jahr ich das letzte Mal Müll verursacht habe – die Sonne kitzelt mich –, ich kann beim besten Willen nicht mehr daran erinnern.”

Im Anschluss stellt der Leipziger Politikstudent Philip Kreißel die Frage nach gelungener digitaler Partizipation. Weil Bürgerbeteiligung im Netz durch Bots und Trolle leicht zu manipulieren sei, brauche es Werkzeuge, mit denen sich jeder Einzelne im Netz authentifizieren könne. Seine Idee: Das Prinzip “ein Mensch – eine Stimme” müsse aus der analogen in die digitale Sphäre übertragen werden.

Eike Gräf, Referent der EU-Kommission, beschäftigt sich mit digitaler Ethik. “Was offline illegal ist, ist auch online illegal”, sagt Gräf in seinem Kurzvortrag und stellt einen Kodex gegen Hass im Netz vor, den die Kommission gemeinsam mit zwei Dutzend NGOs und multinationalen Digitalkonzernen erarbeitet hat. Der Kodex zeige bereits Wirkung, sagt Gräf. So schafften es viele Plattformen inzwischen, innerhalb von 24 Stunden bedenkliche Inhalte zu überprüfen, die von Nutzerinnen und Nutzern gemeldet wurden.

Für mehr Optimismus plädiert auch die Digitalisierungsforscherin Shirley Ogolla, die untersucht, wie sich Wissensarbeit durch Technologie verändert. Ogolla ist optimistisch: Arbeitnehmer müssten sich keine Sorgen machen, dass sogenannte künstliche Intelligenz ihre Arbeitsplätze ersetze. Es sei wichtig, dass Arbeitgeber die neue Technologie verstehen und erkennen, wie sie Mitarbeitende im Arbeitsalltag unterstützen kann.

Im Anschluss arbeiteten die Teilnehmenden in 15 Workshops an konkreten Ideen, die das digitale Leben verbessern sollen. Die zwei Aktivisten Benedikt Schuppli und Ozan Polat warfen die Frage auf, welche Rechte und Pflichten digitale Personen künftig haben sollten. Gemeinsam mit einer Gruppe von knapp 50 Teilnehmenden diskutierten sie, wer dafür haftet, wenn Algorithmen illegal handeln. Sie berichteten von einem Kunstprojekt in der Schweiz, bei dem ein Algorithmus automatisiert Drogen im Internet bestellt hatte. Der Algorithmus wurde 2015 freigesprochen. Doch da die Technik immer klüger und handlungsfähiger werde, müsse die Frage nach dem rechtlichen Status digitaler Akteure breiter diskutiert werden, sagte Polat.

Wer ruft heute noch beim Kummertelefon an?

Nick Wüsthoff, 21-jähriger Student, stellte seine App Between the lines vor, die Jugendlichen in Not helfen will. Denn wer rufe heute noch das Kummertelefon an, fragt Wüsthoff. Die Hürde, sich auf diese Art Hilfe zu suchen, sei für viele junge Menschen zu hoch. Eine App zu öffnen hole sie eher in ihrer Lebensrealität ab. “Wir konstruieren eine digitale Jugendhilfe, wo sie erste Informationen bekommen und über weitere Hilfsangebote informiert werden.”

Maria Exner, stellvertretende Chefredakteurin von ZEIT ONLINE, sagte zum Abschluss der Veranstaltung: “Bei den Z2X Summits sollte eine ausgewählte Gruppe junger Zukunftsgestalter die Möglichkeit bekommen, sich intensiv zu einem gemeinsamen Thema auszutauschen. Das ist bei Z2X Digital exemplarisch gut gelungen.”

Nach welchen Regeln wir als Veranstaltende über das Festival und unsere Weltverbesserer-Community Z2X berichten, lesen Sie hier. Bewerbungen für Z2X Bildung und Z2X Europa sind hier noch für kurze Zeit möglich.

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