/Jens Harzer: Verwandte in Stimme und Ausdruck

Jens Harzer: Verwandte in Stimme und Ausdruck

Hörte man Bruno Ganz sprechen, kam einem folgender Bibelsatz in den Sinn: “Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.” Denn etwas vom überfließenden Reden war zu spüren, selbst wenn er nur wenige Worte sprach: Wärme, Melodie, gastfreundlicher Witz, Hintersinn, Lebenserfahrung gaben seinen Sätzen Spannung. Als sei, was er schließlich sagte, nur der Spund, den ein innerer Überdruck aus dem Schweigen des Denkkünstlers Bruno Ganz getrieben hatte.   

Und so ähnlich ist es nun bei dem Mann, den er testamentarisch zu seinem Nachfolger, zum neuen Träger des Iffland-Rings, erkor: Jens Harzer, 1972 in Wiesbaden geboren. Wenn Harzer spielt, wirkt er immer so, als stamme sein Text nicht von Kleist, Tschechow oder Handke, sondern so, als habe Harzer ihn mit sich selbst abgemacht und als trage er für alle Veröffentlichungsfolgen übermütig die Verantwortung. Er ist eine im deutschen Theater singuläre Erscheinung mit unverwechselbarem Ton. Seine Sätze scheint er im Sprechen erst zu finden, und manchmal setzt er halsbrecherische Pausen zwischen Prädikat und Objekt. Seine Satzgebäude schwanken, während er sie baut. Oft steht ihm der Mund offen, als höre er den eigenen Denkbewegungen zu; als sei er selbst überrascht von dem, was in seinem Inneren dahinzieht. Manchmal bläst er die Backen, als stoße ihm etwas Saures auf, das er schlucken muss, ehe er weitersprechen kann. Sein Denken ist körperlich, jede Idee muss bei ihm durch Fleisch und Blut. Das ist Manier, aber eine, die den Schauspieler mit seiner Figur verklammert – sie steigert die Präsenz von beiden.

Vom Iffland-Ring wird gesagt, er sei die wichtigste Schauspielerauszeichnung im deutschen Sprachraum. Der Überlieferung folgend hatte ihn schon Goethe in Händen; er soll das mit Diamanten besetzte eiserne Schmuckstück an den großen August Wilhelm Iffland (1759–1814) übergeben haben, der es kurz vor seinem Tod an Ludwig Devrient weiterreichte.

Treffender wäre wohl, den Ring als die kostbarste Spielerauszeichnung zu bezeichnen. Denn er ist an Lebenszeiten gebunden: Wer ihn hat, trägt ihn bis zu seinem Ende. Wer ihn bekommt, der muss, spätestens drei Monate nachdem er ihn vom Vorgänger erhielt, testamentarisch den nächsten Träger bestimmen. Es haftet auch etwas von einem Fluch an ihm, denn der Ring ist dazu da, seinen Träger zu “überleben” und wieder zu verlassen, und tatsächlich sind immer wieder Männer, die ihn erhalten sollten, gestorben, ehe sie ihn in Empfang nehmen konnten – Alexander Girardi, Max Pallenberg, Alexander Moissi und zuletzt der große Gert Voss, der eigentlich von Bruno Ganz als der neue Träger ausgewählt worden war. Voss starb aber schon 2014, und Ganz musste einen anderen Nachfolger suchen.

Am 16. Februar 2019 starb Ganz, und erst jetzt wird also bekannt, wem er den Ring vermachte. Er erkor den Schauspieler Jens Harzer zu seinem Nachfolger, der ihm der Vertrauteste, der von Stimme und Ausdruck her am engsten Verwandte war. Beide, Ganz wie Harzer, haben dieselbe versonnene, widerwillig elegante Männlichkeit, beide sind Meister in der Verstärkung ihrer Wirkung – und misstrauen doch aller Wirkungstechnik. Beide sind zugleich Hymniker und Lakoniker.

Die Ringgabe von Ganz an Harzer hat etwas Ergreifendes: Es muss Ganz, wenn er Harzer auf der Bühne erlebte, so vorgekommen sein, als sehe er einen jüngeren, größer gewachsenen Bruder vor sich, vielleicht sogar einen Sohn. Er hätte keine bessere Wahl treffen können.

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