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Brexit: Dann macht es eben die EU

Wenn die
EU-Verwaltung im riesigen Pressesaal einen zweiten Kaffeestand aufbaut, wenn
CNN-Moderatoren aus den USA einfliegen und sich der offizielle
Terminplan immer wieder verzögert, dann ist klar: Die EU steckt in einer Krise.
Und zwar richtig.

Nur noch acht
Tage sind es eigentlich bis zum offiziellen Austritt Großbritanniens aus der EU. Erstmals
will ein Mitgliedsstaat die EU freiwillig verlassen. Doch findet sich im
britischen Parlament seit Wochen keine Mehrheit für das verhandelte Austrittsabkommen – und ein No-Deal-Szenario rückt immer näher. Kaffee kann es in diesen Wochen, in denen offen ist, ob alles auf einen wilden Austritt des Königreichs zusteuert, also gar nicht genug geben. An diesem Abend in Brüssel dauert es sechs Stunden und nicht überlieferte Kaffeemengen, bis der der Europäische Rat einen Brexit-Plan für die kommenden Wochen präsentiert. Der war mit und ohne die britische Premierministerin Theresa May verhandelt worden. Der ungeregelte Ausstieg ist vorerst abgewendet. 

Das sind die
wichtigsten Punkte der neuen Fristverlängerung      

  • Wenn
    das britische Parlament in der kommenden Woche das Austrittsabkommen verabschiedet, tritt
    Großbritannien zum 22. Mai aus der EU aus, also kurz vor den Wahlen zum
    Europaparlament vom 23. bis 26. Mai.
  • Wenn
    das britische Parlament in der kommenden Woche dem Abkommen nicht zustimmt, gewährt der
    Europäische Rat eine Fristverlängerung bis zum 12. April. Der Zeitpunkt ist smart
    gewählt: Bis zu diesem Datum muss Großbritannien – so sehen es die Fristen in
    der britischen Gesetzgebung vor – entschieden haben, ob es an den Wahlen zum
    EU-Parlament teilnimmt. Zudem muss Großbritannien dem
    Europäischen Rat bis zum 12. April einen Plan vorlegen, welchen Weg das Land weiter beschreiten will. Im Ernstfall könnte
    dies einen weiteren EU-Gipfel nötig machen.

Außerdem nickt der Europäische Rat die Zusatzerklärung ab, die May und
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vergangene Woche in Straßburg
verhandelt hatten. Sie sichert Großbritannien zu, dass der sogenannte Backstop tatsächlich
nur temporär sein soll und dass die EU und Großbritannien im Streitfall vor ein
unabhängiges Schiedsgericht ziehen können. Der Backstop soll Grenzkontrollen zwischen der britischen Provinz
Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindern. Durch den Backstop
würde das Vereinigte Königreich in einer Zollunion mit der EU bleiben,
falls nach einer Übergangsphase keine andere Vereinbarung getroffen
wird. May hofft, mit der Zusatzerklärung zu einem temporären Backstop vor allem Brexit-Gegner zu überzeugen, die dem Abkommen nicht zustimmen wollen, weil sie Sorge vor einer neuen Grenze auf der irischen Insel haben. 

Vielleicht doch lieber ein Exit vom Brexit?

“Wir haben
eine Lösung gefunden, wenn auch vielleicht kein endgültige”, zeigt sich
EU-Ratspräsident Donald Tusk am Abend erleichtert. Doch im Zweifel geht Anfang April
das Spiel von vorne los. Wenn das britische Parlament das
Austrittsabkommen nicht bis zu 12. April verabschiedet, Großbritannien aber einen weiteren
Aufschub will, müssten
die Briten doch an der Europawahl teilnehmen.

Ein Szenario, das May um jeden Preis verhindern will. Die Premierministerin hat an diesem
Abend eine Niederlage bei der EU hinnehmen müssen, die EU ist ihr beim ihrem
wichtigsten Anliegen, der Fristverlängerung, nicht entgegenkommen. Knapp fünf
Stunden musste sie in einem benachbarten Büro auf die Einigung der EU warten. Doch beeindruckt oder bewegt wirkt sie davon nicht. Auf ihrer nächtlichen
Pressekonferenz, kurz nachdem sie mit Tusk das Abkommen besprochen und für die
britische Regierung angenommen hat, spult sie ihre bekannten Brexit-Phrasen ab:
Die britische Regierung müsse endlich liefern, sie arbeite Tag und Nacht daran.

May
macht klar, dass ein Exit vom Brexit für sie keine Option ist, weil dies das
Vertrauen in die Verlässlichkeit von Politik schade. Innenpolitisch wächst allerdings
der Druck auf die britische Regierung, doch einen Rückzieher zu machen. Bis zum späten Donnerstagabend
hatten mehr als zwei Millionen Menschen online eine Petition unterzeichnet, die die britische Regierung fordert, den Austrittsantrag zurückzunehmen und Teil der EU zu bleiben. Die Zahl der Unterstützer dafür steigt rasant. Allerdings ist sie noch
weit entfernt von den 17,4 Millionen Briten, die vor drei Jahren für den Brexit
gestimmt haben. 

Es herrscht weiter Planlosigkeit

Und die EU? EU-Präsident Tusk und EU-Kommissionspräsident Juncker wollen sichtbar den Eindruck vermitteln, dass die Stimmung an diesem Abend in Brüssel gut
gewesen sei. Das allerdings bezieht sich wohl vor allem auf die Formulierung
einer adäquaten Antwort auf Mays Fristantrag. Der Auftritt von May vor den 27
Staats- und Regierungschefs, so zitieren mehrere Medien übereinstimmend
Diplomaten,
muss dagegen enttäuschend gewesen sein: May habe nicht überzeugend darlegen
können, was passiere, wenn das britische Parlament kommende Wochen zum dritten
Mal in Folge den Austrittsvertrag ablehnt. Noch am Mittwochabend hatte May
während einer Fernsehansprache eingeräumt, dass sie keinen mittelfristigen Plan
habe, sondern spätestens am 30. Juni das Königreich aus der EU führen wolle.

Also haben
die Staats- und Regierungschef diesen Job übernommen und einen möglichen Ablauf
für die kommenden Wochen ausgearbeitet. Eine gemeinsame Haltung, in welche
Richtungen es gehen soll, gab es zu Beginn des Abends nicht wirklich. Deutschland war bereit, den
Briten weit mehr entgegenzukommen als der französische Präsident Emmanuel Macron,
der auf kurze Fristen beharrte. Das Ausarbeiten der gerade einmal 19 Zeilen dauerte
Stunden, Bankenfeiertage spielten genauso eine Rolle wie Stichtage für
EU-Wahlen. Völlig unüblich twitterte ein Vertreter der bulgarischen Delegation
ein Foto von der Arbeit der Diplomaten, die eng gedrängt an dem
Entwurf des Abschlusserklärung feilen. Es zeigt, wie improvisiert auf Last-Minute-Gipfeln manchmal gearbeitet wird. 

Der neue
Aufschub bedeutet mehr Rechtssicherheit für die EU, denn er reduziert das
Risiko, dass Großbritannien gegen seinen Willen doch an der Europawahl
teilnehmen muss: Die Britinnen und Briten müssen diese Entscheidung nun bewusst und früh
genug treffen. Zudem bekommt das britische Parlament noch einmal die
Möglichkeit, sich zu überlegen, was es tatsächlich will. Noch am Abend
hatte May den Parlamentariern in der Heimat vorgeworfen, für das Brexit-Chaos verantwortlich
zu sein. Und am Ende eines langen Abends gibt EU-Ratspräsident Tusk den überzeugten
Brexit-Anhängern auch noch einen mit. “Unserem Papst zufolge ist die Hölle immer noch leer und das bedeutet, dass es noch viel Platz
gibt”, antwortete er auf die Frage, ob die Hölle seiner Meinung nach für jene Abgeordneten vergrößert werden
sollte, die kommende Woche erneut gegen den vorliegenden Brexit-Vertrag stimmen
sollten.

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