/Anschlag in Utrecht: Im Zweifel Terrorist

Anschlag in Utrecht: Im Zweifel Terrorist

Andreas Bock ist Professor für Politikwissenschaft und hat den Lehrstuhl für Unsicherheitsforschung an der Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin inne. In seiner Forschung verbindet er unterschiedliche sozialwissenschaftliche Ansätze, um die Dynamiken von Bedrohungswahrnehmungen zu analysieren, wie sie sich unter anderem im Atomstreit mit dem Iran, der Eskalation des Ukraine-Konflikts und der sozialen Konstruktion von Terrorismus als “exceptional violence” zeigen.

Das Urteil ist schon gesprochen, bevor der Prozess begonnen hat. Die Tat von Utrecht war Terrorismus, der Tatverdächtige Gökmen T. ist ein Terrorist.

Gegen das Motiv einer Beziehungstat spreche, so heißt es in einer Mitteilung der Polizei, dass es keine Beziehung zwischen dem Hauptverdächtigen und den Opfern gegeben habe. Zudem wurde im Fluchtwagen des Verdächtigen ein Brief gefunden. In diesem Brief, das konnte man in verschiedenen Medien lesen, werde das Wort “Allah” verwendet. Zwar würden andere Motive weiterhin nicht ausgeschlossen – aber eigentlich, so ergänzt man in Gedanken, eigentlich ist die Sache klar.

Aber warum ist uns, der medialen Öffentlichkeit, die Bewertung der Tat von T. so klar, warum ist das Narrativ des Terroristen so überzeugend? 

Das Narrativ “Terrorismus” hat sich nach der Tat von Utrecht schnell etabliert, ist von Politik und Medien reproduziert worden. Spätestens als die Herkunft des mutmaßlichen Täters bekannt wurde. Gökmen T. stammt aus der Türkei. Wie bei einem Puzzle fügen sich die spärlichen und uneindeutigen Informationen über das Motiv zu einem sinnvollen Ganzen: Eben weil man weiß (oder zumindest zu wissen glaubt), dass der Täter ein Muslim ist (schließlich ist er Türke), liegt die Interpretation Terrorismus so nahe und ist offensichtlich so überzeugend. “Der” Islam ist längst zum Signum terroristischer Gewalt geworden. Studien zeigen, dass wir “den” Islam als vermeintlich homogenes soziales Phänomen mit Islamismus und Terrorismus narrativ verbinden: Wann immer vom Islam und Musliminnen und Muslimen die Rede ist, werden problematische Bedeutungsinhalte mit aktiviert. Wenn wir “Islam” hören oder Musliminnen und Muslime sehen, denken wir automatisch auch an “Terrorismus”.

Dunkle Haut, schwarze Haare, das reicht

Wie diese narrative Verbindung funktioniert, zeigt das Beispiel des Mannes, der im Januar 2016 in einem Kölner Baumarkt “Chemikalien gekauft [hat], aus denen man mit entsprechenden Kenntnissen ein explosionsfähiges Gemisch herstellen kann”, wie die Kölner Polizei formulierte. Für die Alarmierung der Polizei war weniger die Menge gekaufter Chemikalien verantwortlich als das Aussehen des Mannes als “aus dem Nahen Osten stammend”. Andernfalls, darauf hat die Satireseite Der Postillon treffend hingewiesen, müsste die Polizei täglich nach “Millionen Käufern von bombentauglicher Substanz an Tankstellen” fahnden.

Das Kölner Beispiel legt die Funktionsweise sozialer Interpretationsprozesse frei. Aufgrund seines Aussehens wurde das Verhalten des Mannes für die Verkäuferinnen und Verkäufer als problematisch, als potenziell gefährlich und terroristisch interpretierbar. Ähnlich erging es dem italienischen Mathematikprofessor Guido Menzio im Mai 2015 auf einem Inlandsflug in den USA: Aufgrund seines Aussehens (dunklere Haut und schwarze Haare) war sein Verhalten (das Arbeiten mit mathematischen Formeln auf einem Stück Papier) für seine Sitznachbarin verdächtig: Sie interpretierte die Formeln als arabische Schriftzeichen und das Papier als potenziellen Abschiedsbrief eines islamistischen Selbstmordattentäters und löste Terrorismusalarm aus.

Die Wahrnehmung und Bewertung (potenziell) rechtsterroristischer Gewalt ist davon qualitativ verschieden, hier werden solche Narrative/narrative Verbindungen nicht einfach aktiviert. Daher werden diese Taten auch anders eingeordnet und interpretiert.

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