/Wohnungsmarkt: “Die Investoren nutzen die Not der Städte kaltschnäuzig aus”

Wohnungsmarkt: “Die Investoren nutzen die Not der Städte kaltschnäuzig aus”

Grundstücke, Geld und Planer: In der Wohnungskrise mangelt es an allem, ist Sebastian Dullien überzeugt. Der Volkswirt übernimmt ab April die Leitung des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), das bisher Gustav Horn geleitet hat. Er ist einer der wenigen Ökonomen in Deutschland, die offensiv linke Positionen vertreten. Dullien plädiert für eine starke Ausweitung des staatlichen Wohnungsbaus. Serielles Bauen – also Platte im großen Stil – könne günstig und modern sein.

ZEIT ONLINE: Herr Dullien, Berlin diskutiert die Enteignung
von privaten Wohnkonzernen. Ist das der richtige Weg gegen die Wohnungskrise?

Sebastian Dullien: Das Grundgesetz sagt sehr
klar: Eigentum verpflichtet und soll auch der Allgemeinheit dienen.

ZEIT ONLINE: Es nicht so, dass die
Wohnungen in Berlin alle leer stehen.

Dullien: Wenn Heizungen über Wochen
nicht funktionieren, dann kommen die Unternehmen ihrer Verpflichtung nicht
nach. Wir würden doch nie über Enteignungen diskutieren, wenn es nicht Konzerne
wie die Deutsche Wohnen gäbe, die jede Lücke in der Regulierung nutzen, um die
Mieten zu erhöhen und gleichzeitig den eigenen Gewinn ohne Rücksicht auf die
Mieter zu maximieren.

ZEIT ONLINE: Aber muss man den
Konzernen dann gleich die Wohnungen wegnehmen?

Dullien: Als Ultima Ratio halte ich Verstaatlichung für durchaus vertretbar. Wenn jemand wiederholt die Regeln verletzt, dann
kann Enteignung auch in einer Marktwirtschaft eine akzeptable Maßnahme sein. Ich
bin mir allerdings im Berliner Fall nicht sicher, ob Enteignung derzeit wirklich ein guter Schritt ist. Das Problem ist: Der Staat muss den bisherigen
Eigentümer zum Marktwert entschädigen. Das ist ziemlich teuer. Und das so
verwendete Geld kann nicht an anderen Stellen eingesetzt werden, um den
Wohnungsmangel zu senken. Am Ende würde man nur einem Teil der Mieter helfen –
eben denen, die zufällig in einer ins öffentliche Eigentum überführten Wohnung leben.

ZEIT ONLINE: Aber warum können nicht
erst einmal bestehende gesetzliche Regeln verschärft werden?

Dullien: Das Problem ist doch, dass
die Regeln schon heute ohne große Folgen permanent gebrochen werden. Berlin
verlangt etwa bei Wohnprojekten einen bestimmten Anteil Sozialwohnungen. Aber
was macht die Stadt, wenn der Investor sich einfach nicht an die Vorgabe hält?

ZEIT ONLINE: Sie verklagt ihn.

Dullien: Der Investor  hört dann
erst mal auf zu bauen. Die Stadt verhängt Strafen, der Investor klagt dagegen.
Und so geht es immer weiter. Am Ende knicken die Politiker ein, weil sie so
dringend neue Wohnungen brauchen. Die Investoren nutzen die Not der Städte
kaltschnäuzig aus. In Berlin hat die Stadt einem Investor etwa Vorgaben für
den sozialen Wohnungsbau gemacht – und am Ende werden die Sozialwohnungen an die
Straßenseite als Lärmschutz für die Luxuswohnungen gebaut.

ZEIT ONLINE: Was kann gegen dieses
Machtungleichgewicht getan werden?

Dullien: Der Staat, das Land, die Kommune
müssen wieder viel stärker selbst bauen. Das Bauplanungsrecht muss vereinfacht
werden, und es muss viel mehr Personal eingestellt werden. In den Bauämtern
wurden in den vergangenen Jahren massiv Stellen abgebaut. Nach Erhebungen des
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ist in den kommunalen Verwaltungen
seit Anfang der Neunzigerjahre die Zahl der Beschäftigten, deren Aufgabengebiet
in den Bereichen Bau, Wohnungswesen und Verkehr liegt, um mehr als ein Drittel
zurückgegangen.

ZEIT ONLINE: Wir haben in
Deutschland fast Vollbeschäftigung. Ver.di klagt bereits, zu den herrschenden Tariflöhnen
finde die Verwaltung kaum noch Leute. Woher sollen die Planer und
Architektinnen kommen?

Dullien: Der Bund könnte beispielsweise
eine Gesellschaft gründen, die Personal zu Marktkonditionen einstellt und dann
– günstiger – an die Kommune ausleiht.

Der Bund könnte eine öffentliche Zeitarbeitsfirma für Planungskapazitäten gründen.

ZEIT ONLINE: Der Bund soll als Leiharbeitsfirma
fungieren?

Dullien: Ja, er könnte doch etwas
wie eine öffentliche Zeitarbeitsfirma für Planungskapazitäten gründen, bei der
vorübergehend Baufachleute mit höheren Gehältern angeworben werden. Das Problem
ist doch: Mit den aktuellen Gehaltsstrukturen im öffentlichen Dienst bekommen
wir nicht schnell genug die ganzen Leute, die wir jetzt brauchen, nachdem so
viele Jahre Personal gekürzt wurde. Viele gehen lieber zum privaten Bauträger. Langfristig
müssen die Stellenkürzungen rückgängig gemacht werden, die kommunalen
Verwaltungen mit permanentem Personal besser ausgestattet und die Gehälter wieder
nach oben angepasst werden, aber kurzfristig kann so eine “schnelle
Eingreiftruppe” helfen.

ZEIT ONLINE: Es mangelt aber nicht
nur an Personal in der Verwaltung.

Dullien: Es mangelt an
Grundstücken, Geld und Planern. Außerdem bauen Privatinvestoren Wohnungen, die
wir gar nicht brauchen: Luxus- statt Sozialwohnungen. Baugenehmigungen werden inzwischen
oft nur beantragt, um den Grundstückspreis in die Höhe zu treiben. Ein
Grundstück mit Genehmigung ist natürlich mehr wert als ohne. Schaut man sich
die Statistik der erteilten Baugenehmigungen und der begonnenen Bauten an,
klaffen die Zahlen zunehmend auseinander.

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