/Waldorfpädagogik: Ich sage: Waldorf heißt, sein Weltbild zu verschließen

Waldorfpädagogik: Ich sage: Waldorf heißt, sein Weltbild zu verschließen

Obwohl ich diesen Text nicht unter meinem richtigen Namen veröffentliche, sei mir ein Wort zu meiner Person gestattet: Ich schreibe für verschiedene Zeitungen und Magazine regelmäßig über schwierige Themen. Dann bekomme ich viele Leserzuschriften und Kommentare, ich erhalte Postkarten mit säuberlich notierten Herabwürdigungen, auch die eine oder andere sexistische Beleidigung ist darunter. Es macht mir nichts aus. Ich bin also halbwegs hart im Nehmen, aber beim Thema Kita habe ich mich nicht getraut.

Engste Freundinnen, liebe Verwandte, meine Nachbarn – sie haben ihre Kinder auf einer Waldorfkita, und sie würden nie wieder ein Wort mit mir reden, wenn sie diesen Text hier gelesen haben. Und damit fängt auch schon das Problem an. Eine Waldorfkita ist nicht ein Betreuungsort für Ihr Kind, auch nicht eine Bildungseinrichtung, der Sie Ihr Kind anvertrauen in bester Hoffnung, es möge sich dort wohlfühlen und vielleicht auch noch ein bisschen was lernen. Ich bin keine Expertin. Ich bin nur eine Mutter aus einer Kleinstadt in Norddeutschland, ich habe Kinder im Kitaalter, und ich sage: Waldorf heißt, sein Weltbild zu verschließen.

Denn Sie können nicht zu Ihrer Freundin sagen: “Ach, lustig, dass ihr in eurer Kita das Mehl mit einer Handmühle aus den Körnern selbst mahlt, in unserer Kita gibt’s meistens Nudeln mit brauner Soß.” Das ist nicht lustig, wenn man an die vom Esoteriker Rudolf Steiner 1920 begründete reformpädagogische Waldorf-Ideologie glaubt. Mehlmahlen und Brotbacken sind dann nämlich “Urtätigkeiten des Menschen”.

Das heilige Ritual des Backens

Aber was den Brotfetisch der Waldorfkitas betrifft, das heilige Ritual des wöchentlichen Backens – geschenkt. So ein frisches deutsches Vollkornbrot schmeckt ja wirklich gut. Ich finde es auch okay, dass banale Vorgänge ein bisschen aufgeladen werden. Wäscheaufhängen ist auch eine Urtätigkeit des Menschen!

Ich ärgere mich auch nicht über diesen speziellen Waldorf-Sprech. Es klingt in meinen Ohren zwar so, als hätte sich ein Marketingteam zusammengesetzt, um zu überlegen, wie man schlichteste Dinge irgendwie bedeutsam ausdrückt. Eine Kindertagesstätte ist ein “Lebensraum” oder ein “Entwicklungsraum für alle dort zusammenkommenden Menschen”. Er-greifen heißt Be-greifen. Jedes Kind ist ein Himmelskind. Klar.

Das schlechte Gewissen der Mütter

Schwieriger finde ich schon das Mutterbild, das die Waldorf-Ideologie vermittelt. Die Erzieherinnen sind nämlich, so scheint es mir, nicht zur Unterstützung der Familien da, sondern mahnende Instanz, sodass man als arbeitende Frau nicht mehr nur gegenüber seinen Kindern, seinem Mann, seiner Schwiegermutter, seinem Chef ein schlechtes Gewissen hat, sondern zusätzlich noch gegenüber der Erzieherin. Sicher, Erzieherinnen sollen keine Dienstleister sein, natürlich sollen sie sich einmischen, aber ein Minimum an Solidarität unter Frauen wäre doch schön. Stattdessen müssen die Mütter sich vor den strengen Blicken fürchten, wenn sie ihr Kind fünf Minuten zu spät bringen oder abholen. Vorbei ist es dann mit den “heiteren Mienen” (Steiner), die die Kitaerzieherinnen laut Waldorfprinzip immer an den Tag legen sollen. Die Eingewöhnung, die in anderen Kitas manchmal nur ein paar Tage dauert, wird in Waldorfkitas als wochenlanges Zeremoniell des Schuldgefühls gefeiert, sodass keine Frau auf die Idee kommt, sich auch nur ein bisschen gut zu fühlen, wenn sie ihr Kind mal für ein paar Stunden los ist.

Natürlich könnte dieses reaktionäre Mutterbild aus Versehen entstanden sein. Dass man allerhöchstens in Teilzeit arbeiten kann, wenn man seine Kinder auf der Waldorfkita hat, das ist sozusagen der Kollateralschaden des Antimaterialismus. Die Waldorfpädagogik hat eigentlich gar nichts gegen Frauen. Sie will nur, dass die Eltern sich einbringen. Solange aber unbezahlte Arbeit in Deutschland so ungleich zwischen Männern und Frauen verteilt ist (Frauen verwenden 2,4-mal so viel Zeit für unbezahlte Fürsorgearbeit und das 1,6-fache für Hausarbeit wie Männer) und solange die Mehrheit der Deutschen meint, dass Frauen für Kinder zuständig sind und Männer nur sekundieren – solange sind es eben auch die Frauen, die sich “einbringen”.

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