/Kein Ruhestand: Wenn der Renteneintritt bedeutet, bei der Tochter im Flur zu schlafen

Kein Ruhestand: Wenn der Renteneintritt bedeutet, bei der Tochter im Flur zu schlafen

Frauen bekommen im Schnitt 50 Prozent weniger Rente als Männer. Wenn sie im Alter allein und in Großstädten mit hoher Miete leben, sind sie oft von Armut bedroht. Für ein Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurden in München 50 Frauen zwischen 63 und 85 Jahren interviewt. 18 Geschichten dieser Rentnerinnen werden in dem neuen Buch “Kein Ruhestand: Wie Frauen mit Altersarmut umgehen” erzählt. Die Autorinnen des Buches erklären zudem, warum Frauen besonders von Altersarmut bedroht sind – und erklären, wo sie Unterstützung bekommen. Wir veröffentlichen einen gekürzten und angepassten Auszug daraus.

Als wir Dawina Bublica* im Januar 2015 treffen, ist sie seit zwei Jahren im Ruhestand – und schläft seit über einem Jahr auf dem Klappbett im Flur ihrer älteren Tochter. Vor der Verrentung wohnte die ehemalige Altenpflegerin in einer Wohnung in demselben Mietshaus in München wie ihre Tochter. Diese Wohnung musste sie aufgeben – denn die Altersbezüge reichten nicht, um die Miete zu bezahlen. In der Dreizimmerwohnung der Tochter wohnen außerdem Bublicas drei erwachsene Enkeltöchter, die noch im Studium sind. Wir verabreden uns also in einem Kulturzentrum, denn Bublica hat keinen Platz, Besuch zu empfangen: “Das tut mir auch weh”, sagt sie. “Viele Freundschaften gehen kaputt dadurch.”

Bublica arbeitete fast 45 Jahre lang in Deutschland: zuerst als Pflegeassistentin, dann als Altenpflegerin und später als Stationsleiterin. Die Jahrzehnte schwerer körperlicher Arbeit haben Spuren hinterlassen: Bublicas Rücken sowie ihre Kniegelenke sind so kaputt, dass sie kaum Treppen steigen kann. Neben schlechtem Sehvermögen, Bluthochdruck, Arthrosen und ihrem Stressasthma waren das die Gründe, warum sie mit 63 in Frührente gehen musste.

Die 1.250 Euro Rente, die Bublica bekommt, liegen zwar sogar über der Durchschnittsrente in München. Für Männer im Jahr 2016 betrug sie laut der Deutschen Rentenversicherung 1.100 Euro, bei den Frauen lediglich 785 Euro. Doch in Großstädten wie München, in denen es fast unmöglich ist, eine Wohnung mit einer Miete unter 700 Euro zu finden, kommen Alleinstehende auch mit Bublicas Altersbezügen kaum zurecht. In Prognosen, etwa des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, die sich auf statistische Daten beziehen, wurde für München hochgerechnet, dass im Jahr 2035 “mehr als jede dritte Person ab 65 Jahren” unterhalb der Armutsschwelle leben wird.

Frauen leben im Alter häufiger allein als Männer

Frauen – und zwar aus allen Milieus – sind von einem prekären Ruhestand besonders bedroht, wenn sie im Alter von nur einem Haushaltseinkommen leben. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn sie im letzten Lebensdrittel nicht über Ersparnisse, eine Erbschaft oder zumindest eine Zusatzrente verfügen. Frauen leben, statistisch gesehen, länger, pflegen häufiger ihre Partner, können aber selbst oft keine solche partnerschaftliche Unterstützung erwarten. Frauen sind, auch wenn sie Witwenrenten erhalten, oft finanziell schlechter gestellt als Männer. Sie besitzen seltener eigene Wohnungen und verfügen über weniger angespartes Vermögen. Zudem heiraten Witwer sehr viel häufiger wieder als Witwen. Es leben daher bereits heute signifikant mehr ältere Frauen als ältere Männer in Singlehaushalten.

Bublicas Rente ist zu hoch, um sie durch Grundsicherung aufzustocken. Doch mit 1.250 Euro liegt sie dennoch unter der Armutsgefährdungsschwelle in München von 1.350 Euro, von der der Münchener Armutsbericht ausgeht. Bublica schaffte es nicht, eine für sie bezahlbare Wohnung mit Aufzug auf dem freien Markt zu finden. Wegen ihrer Gehbehinderung konnte sie zwar einen Antrag auf eine Sozialwohnung beim Wohnungsamt stellen – doch die Warteschlangen sind lang. Obwohl ihr Antrag die höchste Dringlichkeitsstufe beim kommunalen Wohnungsamt bekam, blieb die Suche vergeblich.

Dawina Bublica ist 1969 aus einer Kleinstadt in Kroatien zum Arbeiten nach München gekommen. Deutschland war für sie damals die Verheißung eines besseren, sichereren Lebens. Von diesem Deutschland fühlt sie sich jetzt im Stich gelassen, sie weint fast im Interview. Enttäuschung durchzieht das Gespräch: “Ein Leben lang gearbeitet”, sagt sie. “Für nichts und wieder nichts.”  

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