/Social Media: Männer, die zu Frauen ins Rampenlicht drängeln

Social Media: Männer, die zu Frauen ins Rampenlicht drängeln

Es gibt mehrere Begriffe, die beschreiben, wie Männer Raum für sich markieren. In der Vergangenheit wurden wir bereits auf solche Männer aufmerksam gemacht, die in der Öffentlichkeit ungebührlich breite Beine (Manspreading) machen. Dank eines Essays von Rebecca Solnit fällt es heute unangenehm auf, wenn Männer versuchen, Frauen Dinge zu erklären, von denen sie angeblich keine Ahnung haben (Mansplaining). 

Neuerdings häufig zu beobachten sind Männer, die sich fremder Leute Erfolg aneignen. Nach dem Vorbild der beiden vorangegangenen Begriffe wird hiermit ein neuer vorgeschlagen: Mansclaiming. Das Kofferwort setzt sich aus man und claiming zusammen. Der Versuch einer Definition: Mansclaiming bezeichnet in diesem Zusammenhang das Verhalten von Männern, die behaupten, stolz auf die Leistung von Frauen zu sein, um öffentlich zu machen, dass genau diese Leistung nur durch ihre Unterstützung oder Existenz möglich war. In der Psychologie kennt man den “neurotischen Stolz” auf etwas, das man nicht selber geschaffen hat. Dieser Begriff unterschlägt aber das besondere Machtgefälle zwischen Männern und Frauen in dieser Gesellschaft.

Vor ein paar Tagen haben zwei Freundinnen eine Beratung gegründet. Als sie die Webseite ihrer Agentur auf Facebook posten, findet sich unter den Glückwünschen auch die Wortmeldung eines Mannes, der die beiden zwar persönlich kennt, aber nicht an ihrem Projekt beteiligt war: #soproud. Soll das nett gemeint sein? So stolz? Auch noch als Hashtag? Damit deutet er doch an, genug mit den beiden Frauen oder deren Strategieberatung zu tun zu haben, um sich Stolz erlauben zu können. Das Clevere an seinem Move ist: Er bringt sich damit ins Gespräch und lenkt das Strahlen auf sich selbst. Für die, an deren Ruhm er schmarotzt, ist das maximal ärgerlich: Wenn einer “so stolz” ist und das öffentlich zur Schau stellt, fühlt man sich wie jemand, dem gerade der Kopf getätschelt wird – irgendwie bevormundet.  

Das Gebot der Bescheidenheit kollidiert im Digitalen grundsätzlich mit einem
Selbstdarstellungszwang. Wer sich nicht selbst vermarktet, wird gar
nicht vermarktet. Und wenn gerade keine eigene Errungenschaft zu vermarkten ist, entscheiden sich
einige (zumeist männliche) Persönlichkeiten dazu, stolz auf andere zu
sein. Sie nutzen also die Zeit zwischen den eigenen Erfolgen, um den Erfolg
anderer, zumeist von Frauen, zu kuratieren. Ganz schön clever.

Stolz als Waffe

Das Ganze spielt sich natürlich nicht nur in sozialen Medien ab: Selbst in den Superheldenfilmen aus dem Marvel-Universum wird Stolz neben Spinnenfäden, Eisatem, Gestaltwandlung und Telekinese als neue Waffe etabliert. Im aktuell laufenden Captain Marvel fällt Jude Law als Yon-Rogg in der Notlage eines Besiegten nichts Besseres ein, als der übernatürlich starken Carol Danvers (Brie Larson) zu erzählen, wie stolz er auf ihre neu entdeckten Kräfte sei. Als ihr Mentor aus dem Volk der Kree hat er sie ihr Leben lang über ihre Herkunft belogen. Von ihren glühenden Jazz-Hands mit Leichtigkeit zu Boden gestreckt, erklärt er ihr nun, dass sie ihre Power ja nur ihm zu verdanken habe. Was er damit bezweckt? Natürlich ihre Superkraft zu neutralisieren, und sei es nur für die eigene fragile Psyche. Im Grunde hat er alles selbst erschaffen – auch das, was ihn zu besiegen droht.

Was ist eigentlich Stolz?

Stolz ist die Freude, die aus der Gewissheit entspringt, dass man selber oder jemand anderes Herausragendes geleistet hat. Stolz sind eigentlich nur Eltern auf Kinder, die den Führerschein gemacht oder das Bachelorstudium endlich abgeschlossen haben. Ihn zu missbrauchen, ist ziemlich geschickt: Wie plump wirkt es dagegen, sich mit fremden Federn zu schmücken, also fremde Leistungen als die eigenen auszugeben, wie es Generationen von Chefs mit den Errungenschaften ihrer Mitarbeiterinnen gemacht haben? Das fliegt einem in diesen transparenten Zeiten ohnehin schnell um die Ohren – fremde Federn sieht jeder, und irgendwann auch, dass sie fremd sind. Damit verglichen ist Mansclaiming die softere und auch elegantere Art, sich Anteil am Erfolg zu verschaffen.

Teilen will gelernt sein

Am Teilen der Erfolge anderer ist nichts grundsätzlich Verwerfliches. Ohne das Teilen wäre zum Beispiel der Berufsstand der Kuratoren im Kunstbereich am Ende. Aber Teilen will gelernt sein. “SO p-r-o-u-d” auf jemand anderes Erfolg zu sein, ist keine nette Art der Beifallsbekundung. Wer dem Erfolg anderer mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen will, kann das auch mit respektvoller Ansprache tun. Wer herausstellen will, dass er einen versteckten, aber entscheidenden Beitrag zum Gelingen geleistet hat, kann das klar und deutlich sagen. Wer unsicher ist, ob er gerade claimt, kann kurz überprüfen, ob er denselben Text auch über Männer posten würde. Nicht? Klingt peinlich? Dann noch mal umschreiben.

Sein Stolz ist Annektion

Dem Theologen Thomas von Aquin wären die Mansclaimer im Digitalen sofort aufgefallen. Um 1250 schrieb er, Stolz sei “ein ungeordnetes Streben nach eigenem Herausragen”. Recht hatte er und damit sowohl die Dimension der Selbstidealisierung als auch die Abwertung der anderen erkannt. Bis heute kennt der katholische Erwachsenenkatechismus die Gefahren, die damit einhergehen, sich im überheblichen Stolz über andere zu stellen. Nicht umsonst steht Stolz auf der Liste der sieben Todsünden zwischen Wollust und Habgier.

Was ist zu tun?

Oh nein! Da ist jemand stolz auf mich! Wer Opfer von Annektionsversuchen stolzer Menschen im Netz wurde, fragt sich vielleicht, was nun zu tun sei. Und das ist in der Tat schwierig zu beantworten. Man möchte in diesen Netzwerken ungern als jemand dastehen, der keinen Spaß versteht. Und will sich das eigene Erfolgserlebnis auch nicht durch eine anstrengende Diskussion in der Kommentarspalte vermiesen lassen. Was kann man schon schreiben, das – gerade im Moment des Erfolges – nicht als beleidigte und unnötige Überreaktion interpretiert würde? Thanks for nothing? Die ideale Lösung wäre es, den Kommentar eines Mansclaimers sofort mit einem Grumpy-Cat-Emoji markieren zu können. Bei dem Anblick dieser schlecht gelaunten Katze wüssten dann alle Bescheid.

Oder so!

Am Ende von Captain Marvel reicht Carol Danvers ihrem stolzen Mentor Yon-Rogg die Hand, schleift ihn geschlagen und gedemütigt zu seinem verbeulten Raumschiff und schickt ihn zurück nach Hause. Ihre letzten Worte an ihn: “Du bist der Letzte, dem ich etwas beweisen muss.”

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