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Playlist: Verloren in Musik

Die Musik ist nicht mehr da, wo sie mal war. Wir haben sie aus ihren
quadratischen Hüllen genommen, um sie zu rippen, dann auf Minidiscs,
Tauschbörsen und iPods hochgeladen. Heute, zig
Technologiegenerationen später, fliegen Abermillionen Titel im
Internet herum; frei, demokratisch, ständig verfügbar und nahezu
verlustfrei komprimiert. Die Digitalisierung hat Zusammenhänge
gekappt, alte Ordnungskriterien scheinen kaum mehr zu greifen. Um sie
in hektischen Zeiten konsumierbar zu machen, wird Musik längst
algorithmisch vorsortiert und thematisch verpackt – für alle
möglichen Launen, Tageszeiten und Lebenssituationen.

Wer als zahlender Spotify-Benutzer den Browse-Button klickt, dem
bietet der schwedische Streamingdienst einen Katalog an
Klangteppichen und musikgewordenen Wohnlandschaften, die duzend
beschrieben werden wie Ikea Küchenmodule. Er findet Playlists zum
Aufstehen, Duschen und Mitsingen im Auto auf dem Weg ins Büro.
Digitale Mixtapes für frisch Verlassene (Alone Again), vom
Leben genervte (Life Sucks) oder Hundefrisöre (Pet Spa).
Rhythmische Begleitung zum lässigen Schlendern (Walk like a
Badass
), konzentrierten Arbeiten (Beats to think to), für
besonders effektive Fitnesssessions (Beast Mode) und das Essen
mit Freunden (wahlweise Perfect Italian, Mellow, Intimate oder einfach bloß Abendbrot).

Mit dem Versprechen, Benutzern den perfekten Soundtrack für jeden
Moment ihres Alltags zu bieten, haben sich Spotify-Gründer Daniel Ek
und sein Team vor einigen Jahren darangemacht, den Weltmarkt zu
erobern. Es scheint zu funktionieren. Auch wenn Musikliebhaber, die den Streamingdienst als schier unerschöpfliche Suchmaschine schätzen,
das thematische Playlisting als furchtbar mainstreamig empfinden.

Durchschnittshörer stöbern nicht

Als Spotifys erste Version 2007 erschien, ähnelte die
Benutzeroberfläche frühen Musiktauschbörsen wie Napster. Und obwohl Spotify von Beginn an lizenzbasiert und damit legal war, gab es bald erstaunlich viel her und beeindruckte durch damals
beispiellose Geschwindigkeit. Dass es nach einer Weile trotzdem
schwierig wurde, mehr Nutzer zu gewinnen, lag laut Spotifys Produktchef Gustav Söderström
daran, dass immer weniger Menschen bereit waren, im Internet selbst
nach Musik zu suchen. Während Nerds und Nischenhörer weiterhin für
den bloßen Zugriff auf Daten bezahlen, möchte der
Durchschnittskonsument heute scheinbar schlicht den passenden Mix:
musikalisches Convenience-Food, digitale Fetenhits und Kuschelrock-Compilations.

“Indem sie beständig verringert, was wir noch zu tun bereit sind,
wird die Benutzerfreundlichkeit zur Beschränkung,” schrieb Tim Wu
neulich in der New York Times. Besonders im Hightechbereich sei der
Kampf um die einfachste Bedienbarkeit längst zum Kampf um
Marktanteile geworden. Angetrieben durch die Macht der Gewohnheit und
die Logik des Wachstums, führe unsere Vorliebe für alles Bequeme zu
einer Art ökonomischen Gewaltspirale: “Je einfacher es ist, Amazon
zu benutzen, desto mehr Zeit verbringen wir auf der Plattform – und
desto einfacher erscheint uns wiederum die Bedienung.” Bequemlichkeit ist kein Bonus mehr, sondern längst Must-have.
Jedes erfolgreiche Tech-Unternehmen feilt scheinbar
unentwegt an effizienteren, benutzerfreundlicheren Features.

Spotifys wichtigste Investition in Sachen Benutzerfreundlichkeit war der Erwerb von Echo Nest im Jahr 2014. Die
US-amerikanische Music Intelligence Platform hatte sich als
Forschungsprojekt am MIT Media Lab gegründet und auf die digitale
Verstichwortung von Musik spezialisiert. In Söderströms Worten
brachte man mit der Übernahme die besten Entwickler im Bereich der
Musikkategorisierung mit Spotifys Daten zusammen, um gemeinsam am
“bedeutendsten und größten Playlistingsystem der Geschichte”
zu bauen. Ein Jahr zuvor hatte Spotify bereits die
Onlineplattform Tuningo gekauft, die Playlists für bestimmte
Stimmungen und Tätigkeiten des Alltags generierte. Mit Tuningo
übernahm man rund 20 Musikredakteure, seither wächst das Team
der “Kuratoren” beständig. Um dem Angebot eine menschliche Note
zu geben, setzt Spotify neben Experten auf Crowdsourcing – und
erfindet immer seltsamere Features.

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