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Gleichberechtigung: Der große Unterschied

Seit der Geburt ihrer beiden Kinder hat sich das Leben der Bankkauffrau
dramatisch verändert. Die Kinder sind chronisch krank und benötigen die Unterstützung der
Eltern, aber das ist nur das eine Problem. “Man schafft das schon, ich kenne es ja nicht
anders”, sagt sie. Viel mehr setzt ihr das andere Problem zu, das Problem mit ihrem
Arbeitgeber. Sechs Jahre lang war sie in einer Bank beschäftigt, aber dann habe ihr plötzlich
einer der Personalberater erklärt: “Wir haben leider keinen Job mehr für Sie.” Sie, die gut
ausgebildete, mehrfach zertifizierte Bankkauffrau, rief kurz vor dem Ende ihrer Elternzeit
immer wieder bei ihrem Arbeitgeber an, aber es war, als sei sie zu einer Bittstellerin
geworden. So erinnert sie sich.

Die Bank, die sich gern um Familien kümmert, solange es sich dabei um lukrative Kunden handelt, ließ ihre langjährige Mitarbeiterin im Stich. Der Bankkauffrau sei bloß angeboten worden, auf eine Vollzeitstelle zurückzukehren. Sie hätte einige Tage in der Woche bis 18 Uhr in einer Filiale stehen, anschließend noch Kunden beraten und den Rechnungsabschluss machen müssen. Ein Arbeitspensum, das sie mit schwer kranken Kindern nicht hätte bewältigen können. Ihren Wunsch nach einer Teilzeitstelle wies das Unternehmen zurück. Das zeigt ein Schreiben der Bank.

Die Frau drohte daran zu verzweifeln, dass ihr Arbeitgeber sie nicht zurückhaben wollte. “Ich habe pausenlos gekämpft”, sagt sie. Schließlich unterschrieb sie einen Aufhebungsvertrag, bekam eine Abfindung und fand einen anderen Job, in einem Callcenter. Dort ließ man sich problemlos darauf ein, ihre Dienste an die Therapiezeiten ihrer Kinder anzupassen. Die ehemalige Bankangestellte sitzt jetzt am Telefon – ein Job, für den sie hoffnungslos überqualifiziert ist. Und in dem sie nicht mal ein Drittel des Geldes verdient, das sie früher bekam.

Engagiert, exzellent ausgebildet – und trotzdem benachteiligt

Das Recht auf Teilzeitarbeit steht im Gesetz, und dennoch wird es oft unterlaufen. Auch viele andere Gesetze, die insbesondere Frauen vor Diskriminierung schützen sollen, werden auf dem Arbeitsmarkt ausgehebelt.
ZEIT
und
ZEIT ONLINE
haben monatelang recherchiert und mit vielen Frauen gesprochen, die in der Arbeitswelt benachteiligt werden oder wurden. Die Frauen, die in diesem Text zu Wort kommen, wollen arbeiten. Keine von ihnen möchte zu Hause bei den Kindern bleiben, manche haben keine. Die Diskriminierung, die diese Frauen erfahren, zieht sich durch alle Branchen, auch in akademisch geprägten Berufen. Viele der befragten Frauen sind exzellent ausgebildet. Sie sind Ingenieurinnen, Erzieherinnen oder Ärztinnen. Ihnen gemein ist, dass sie nicht mit ihrem Namen in der Zeitung stehen wollen. Sie fürchten, als Querulantinnen abgestempelt zu werden, berufliche Nachteile zu erleiden und keine Chance mehr zu haben, wenn sie sich auf eine andere Stelle bewerben.

100 Jahre nachdem Frauen zum ersten Mal in Deutschland wählen durften, 50 Jahre nach dem Beginn des modernen Feminismus, 14 Jahre nachdem eine Frau Kanzlerin wurde, sieht die Situation in Firmen und Behörden noch immer düster aus. 67 Jahre nach der Einführung des Mutterschutzgesetzes und zwölf Jahre nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes werden Frauen im Beruf diskriminiert. Wie kann das sein?

Seit vielen Monaten wird unter dem Schlagwort #MeToo über die sexuelle Belästigung von Frauen diskutiert. Die Debatte entfaltete große Wucht, doch eines spielte darin keine Rolle: die alltägliche Diskriminierung von Frauen an ihrem Arbeitsplatz. Zu diesen Formen der Benachteiligung gibt es viele einzelne Erkenntnisse, aber keinen umfassenden Überblick. Noch wurde nicht zusammengetragen, wie die konkreten Umstände aussehen, die zu einer Kette von Ungerechtigkeiten führen. Steckt dahinter System?

Auch in sozialen Berufen ist die Ungerechtigkeit groß

Beispiele von erfolgreichen Frauen, die Karriere machen, gibt es viele. Manche Frauen bringen es sogar an die Spitze von Firmen. Aber das sind Ausnahmen, auch heute noch. Der angeblich kleine Unterschied zwischen den Geschlechtern ist auf dem Arbeitsmarkt in Wahrheit sehr groß.

Besonders krass sind die Ungerechtigkeiten dort, wo man sie am wenigsten vermutet – in sozialen Berufen. Da ist zum Beispiel die Sozialarbeiterin, der am Telefon die pädagogische Leitung einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe in Brandenburg zugesagt wurde. Der kirchliche Träger dieser Einrichtung hatte sie für ein abschließendes Gespräch in einen verwinkelten Altbau eingeladen, der bald ihr neuer Arbeitsplatz sein sollte. Gemeinsam mit ihrer künftigen Chefin ging sie den Papierkram durch. Beim Thema Kindergeldkasse ließ die Vorgesetzte die Bemerkung fallen, darum brauche man sich ja nicht zu kümmern. Doch, das müsse man, entgegnete die Sozialarbeiterin, sie sei ja Mutter eines kleinen Kindes. Die Chefin war entsetzt. Ein Kind? Warum habe die Bewerberin das nicht früher erwähnt?

So erinnert sich die Sozialarbeiterin heute an das Gespräch, knapp vier Jahre nach dem Vorfall. Akten aus einem Arbeitsgerichtsprozess zu diesem Fall stützen ihre Schilderung. Die Sozialarbeiterin sagt, niemand habe sie im Bewerbungsverfahren nach Kindern gefragt, von sich aus hatte sie es nicht thematisiert – warum auch? Sie ging davon aus, die neue Stelle auch mit Kind voll auszufüllen. Zwei Tage nach dem Gespräch erfuhr sie: Man werde sie nun doch nicht einstellen. Denn sie habe “das Liebste und Wichtigste” in ihrem Leben verschwiegen. Das sei ein Vertrauensbruch. Ende der Gespräche, aus.

“Ich bin mir sicher, wenn ein Mann nebenbei sein Kind erwähnt hätte, wäre das überhaupt kein Thema gewesen. Die hätten gesagt: Ach, wie schön, Sie haben ein Kind? Wie alt ist es denn?”

eine Sozialarbeiterin, die wegen ihrer Mutterschaft nicht eingestellt wurde

“Es ging mir wochenlang schlecht”, sagt die Sozialarbeiterin. Sie habe nachts wach gelegen und gegrübelt. Die Sozialarbeiterin, die sich inzwischen als Mediatorin und Coach selbstständig gemacht hat, war bereits freiberuflich tätig, bevor sie sich auf den Job in der Jugendhilfe beworben hatte. Weil sie damit rechnete, bald fest angestellt zu werden, sagte sie die Aufträge von Kunden ab. Und plötzlich stand sie ohne Einnahmen da. Sie sagt: “Ich bin mir sicher, wenn ein Mann nebenbei sein Kind erwähnt hätte, wäre das überhaupt kein Thema gewesen. Die hätten gesagt: Ach, wie schön, Sie haben ein Kind? Wie alt ist es denn?” Die Sozialarbeiterin entschloss sich, den Träger der Jugendhilfe nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz auf Schadensersatz und Entschädigung zu verklagen.

Ihre Anwältin Julia Oesterling beschaffte für dieses Verfahren eine Stellungnahme der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, denn der Fall war juristisches Neuland. Die Behörde bestätigte darin: Für weibliche Arbeitssuchende bestehe keine “Offenbarungspflicht einer etwaigen Elternschaft”. Die Klage beim Berliner Arbeitsgericht endete mit einem Vergleich. Der kirchliche Träger der Jugendhilfe zahlte der Sozialarbeiterin insgesamt 12.000 Euro. Viel Geld, aber doch nur ein Trostpflaster für eine entgangene Anstellung.

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