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Brexit: Geht mit Gott

Großbritannien will die Europäische Union verlassen, aber es findet den
Ausgang nicht. Jetzt soll ausgerechnet die EU helfen. Das britische Unterhaus hat in Form
einer Abstimmung um eine Fristverlängerung über den 29. März hinaus gebeten. Die britische Premierministerin
Theresa May hat bei der Europäischen Union einen Brexit-Aufschub bis Ende Juni
beantragt. Soll die EU sie
gewähren?

Die Antwort muss klar sein: Ja, aber maximal bis zum 1. Juli. Danach seid ihr draußen, mit oder ohne Abkommen. Es gibt vier Gründe für diese deutliche Botschaft.

Erstens: Ende Mai wird das neue Europäische Parlament gewählt. Am 1. Juli beginnt dessen Legislaturperiode. Gäbe es eine Verlängerung darüber hinaus, müssten die Briten im Mai mitwählen. Das ist nicht nur eine absurde Vorstellung, es würde auch das Funktionieren der europäischen Institutionen behindern. Nur wenn sie einigermaßen reibungslos arbeiten, bleiben sie für die Europäer weiter relevant.

Angesichts des Brexits zeigt die EU, wie zielstrebig und erfolgreich sie sein kann

Zweitens: Seit dem Referendum im Juni 2016 ist die EU gegenüber Großbritannien geschlossen geblieben. Dabei hat die britische Regierung vieles versucht, um die europäische Front aufzubrechen. Vergeblich. Ob Euro, Migration oder Klima – die EU wirkt in vielen Fragen zerstritten. Der Brexit aber erzählt eine andere Geschichte. Die 27 Mitgliedsstaaten können in Krisen zusammenstehen. Wenn sie es wollen, sind sie zielstrebig, effizient und erfolgreich. Das ist eine beruhigende Nachricht für die Zukunft. Denn es stehen stürmische Zeiten bevor. Die Geschlossenheit der EU stünde durch eine Fristverlängerung auf dem Spiel. Kaum hatten die Briten darum gebeten, wurden Risse sichtbar. Deutschland könnte sich offenbar eine Verlängerung über den 1. Juli hinaus vorstellen, Frankreich ist dagegen, Polen will angeblich den Brexit am 29. März durchsetzen. Je länger das Drama dauert, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Front der Union zerbröselt.

Drittens: Das Chaos rund um den Brexit hat spezifisch britische Gründe. Doch es ist auch der Ausdruck der Krise der parlamentarischen Demokratie. Nicht nur Großbritannien ist davon erfasst. Aus innerparteilichen Gründen legte der damalige konservative Premier David Cameron dem britischen Volk im Jahr 2016 eine äußerst komplexe Frage vor – in Form einer Ja-Nein-Frage. Das Wahlvolk hat sich mit knapper Mehrheit für den Brexit entschieden, aber das Parlament bekommt ihn nicht hin. Es wiederholt zwar immer wieder, dass der Wille des Volkes umgesetzt werden muss, aber es ist unfähig, diesen Willen in eine Form zu gießen. Die Lähmung hat einen Grund: Die Parlamentarier haben Angst vor ihrem eigenen Volk. Angst vor Wahlen, Angst vor Referenden. Sie haben – und das ist das wahre Drama des Brexits – ihr freies Mandat aufgegeben, ein Kernstück der parlamentarischen Demokratie. Das britische Parlament hat sich selbst entleibt.

Nun gibt es auch in anderen Ländern die Versuchung, über schwierige Fragen das Volk abstimmen zu lassen – Frankreichs Marine Le Pen spielte schon mal mit einem Referendum über den Austritt aus der EU, Italiens Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega von Matteo Salvini haben in der Vergangenheit immer wieder mit einer Abstimmung über den Euro gedroht. Trotz des abschreckenden britischen Beispiels ist die populistische Versuchung nicht gebannt. Referenden sind für Populisten nämlich keine Volksbefragungen – sie sind die ultimative atomare Option, mit der sie vermeintliche Eliten in die Knie zwingen wollen. Die Vernichtungskraft von Referenden ist immens, wie in London Tag für Tag bewiesen wird.

Viertens: Die EU hat Besseres zu tun, als sich mit dem Brexit zu beschäftigen. Der Klimawandel ist existenzieller als der Brexit, die Gestaltung des Verhältnisses zu China ist wichtiger als der Brexit, die Klärung der Beziehungen zu den USA ist bedeutender als der Brexit. Es muss Schluss sein mit der Kraftverschwendung.

Die Briten sollen die EU also am 1. Juli verlassen, sich möglichst freundlich verabschieden und nicht wütend und türenschlagend. Aber gehen sollen sie. Werden sie draußen wohlhabender und insgesamt glücklicher leben können, dann hat die EU ein Problem – dann werden sich viele andere Europäer fragen, ob die Union wirklich eine gute Einrichtung ist. Wenn es den Briten da draußen aber schlechter gehen sollte, wenn es für sie kälter und unwirtlicher wird, wenn sie ärmer werden, dann können sie sich überlegen, wieder in die EU einzutreten.

Die Türen werden offen stehen, aber am 1. Juli müssen sie sich zunächst einmal schließen.

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