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Thomas Gottschalk: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Thea und Thomas Gottschalk (73 und 68) haben am Montag ihre Trennung nach über 40 Jahren bestätigen lassen – von ihrem Medienanwalt
Christian Schertz. Über die Hintergründe schweigen die Eheleute sich aus,
weshalb sich auch für uns hier Spekulationen über Glück oder Unglück dieser
überraschenden Wendung verbieten. Nur, dass sie auch für uns überraschend ist,
das können wir hiermit bestätigen. Noch im November hatte Gottschalk in
einem Radiointerview
launig über sein abgebranntes Haus in Malibu
geplaudert und darüber, dass Thea bei der Evakuierung statt einer Handschrift
von Rilkes Der Panther das Hygienezubehör der ehelichen Katzen rettete.

Was wir nun beobachten: wie
sehr die Trennung andere Medien mitzunehmen scheint. Fotostrecken zeigen uns Tommy
und Thea in ihren schillerndsten Kostümen, Berichte nennen die
Liebe “ungewöhnlich lang”, wobei wir uns fragen, was “ungewöhnlich” heißt und was
“lang” eigentlich meint. Zeit vergeht schnell in einem abwechslungsreichen Leben
– und dass sie dann irgendwann noch einmal anders vergehen soll: Ist das denn
so ungewöhnlich in einer Gegenwart, in der auch Senioren ihr Recht auf
Selbstverwirklichung noch nicht verwirkt sehen? Was bedeutet schon das
Sicherheitsgefühl von vier Jahrzehnten Ehe gegen die Freuden einer ungewissen Zukunft?

Wenn die Zeiten unsicher sind, und schon die Trennung von Helene Fischer und Florian Silbereisen konnte uns
ja von nichts anderem ausgehen lassen, steht eine Formel aus dem Barock: carpe diem. Nutze den Tag, denn wir
wissen nicht, was kommt. Könnten Lungenärzte schon morgen davon überzeugt sein,
dass unsere Gesundheit irreversibel von SUV-Eltern zerstört wurde, oder Bienen der Erde ohnehin bald den Rücken kehren? Was bringt die Zahnzusatzversicherung,
wenn die Felder austrocknen und die Ernten eingehen? Verbrennt eure Aussteuer,
die Apokalypse naht!

Wir werden noch froh sein, unsere eisern vom Mund
abgesparte Reserve nicht in Eigentum in Berlin-Köpenick investiert zu haben. Und wir tun gut daran, nicht über den Fußballer Leroy Sané zu richten, weil er sein
Geld beherzt für ein freshes Outfit im Streetstyle-Look verpulvert hat. Für Turnschuhe,
Rucksack und Lederjacke soll der Manchester-City-Spieler 25.000 Euro ausgegeben
haben. Wir können an ihm und an Franck Riberys vergoldetem Steak nichts Verwerfliches
entdecken. In den Frisuren und in der Geisteshaltung sind uns die
Profifußballer mal wieder einen Schritt voraus. Das carpe diem lässt sich als Geisteshaltung in einer Lederjacke mit
Graffitimuster von Balenciaga besser leben als mit C&A-Hemd in
Köpenick.

Bei den Gottschalks, zu denen
es vom Modegeschmack Sanés wiederum nicht weit ist, muss man angesichts dieses
Zeitgeistes ebenfalls nicht davon ausgehen, dass die Trennung eine bittere
ist – solange nichts Gegenteiliges verkündet wurde. An ihnen und Leroy Sané
sollten wir uns ein Beispiel nehmen, den inneren Christian Lindner kurz hintanstellen und uns für den Moment entscheiden. So wie auf ganz andere Weise auch die Jugendlichen
der Fridays-for-Future-Streiks. Die pfeifen auf ferne Zeugnisse und noch fernere Festanstellungen, weil
sie ihre Aufgabe erst einmal im Hier und Heute sehen. Wenn nicht jetzt, wann
dann, werden wir uns nächsten Freitag fragen, und vielleicht treffen wir auf
einer der Demos ja auch Thomas Gottschalk, der für seine neue Literatursendung
jetzt wieder häufiger in Deutschland ist. Denn wer von uns entscheidet schon,
wann es zu spät ist für ein neues Leben?

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