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Linker Antisemitismus: Sie können es einfach nicht lassen

In Ungarn blüht die Staatskunst. Im ganzen Land ließ Viktor Orbán Plakate
aufhängen, die zwei triumphal lachende Gestalten zeigen, zwei Feinde des Volkes, zwei
Vertreter der kosmopolitischen Elite. Dem einen wächst eine monströs große Nase aus dem
Gesicht, es ist EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Der andere Finsterling ist George Soros, ein Großinvestor, der neben seinem Kerngeschäft liberale Stiftungen finanziert. Viktor Orbán, von der CSU jahrelang hofiert, mag den Liberalismus nicht und schafft ihn gerade ab.
Seinen Landsmann George Soros mag er auch nicht. Soros ist Jude.

Wer einen Beweis für den Antisemitismus der europäischen Rechten sucht – Ungarns Ministerpräsident liefert ihn freiwillig. Nun sollen die antisemitischen Plakate wieder verschwinden. Kann man sich vorstellen, dass sie bei der Labour Party, der Partei “Unbeugsames Frankreich” oder der deutschen Bewegung “Aufstehen” wieder auftauchen? Gewiss nicht. Kann man sich vorstellen, dass deren Anhänger an solchen Plakaten Gefallen finden? Durchaus.

Linke Ideen kommen und gehen, gerade kommen sie wieder. Mit progressivem Neid blicken Sozialdemokraten auf den Erfolg von Parteien, die Forderungen unters Volk bringen, die sie früher selbst vertreten haben. In Großbritannien ist es Jeremy Corbyn, der der Labour Party einen spektakulären Wiederaufstieg bescherte; in Frankreich führt der begnadete Volkstribun Jean-Luc Mélenchon die Bewegung “Unbeugsames Frankreich” an. Macrons Umverteilungspolitik (Vermögensteuer abschaffen, Rentensteuer erhöhen), seine Arroganz gegenüber Menschen, die jeden Cent umdrehen müssen – all das garantiert den Linksnationalen eine stabile Wutzufuhr. Kein Wunder, dass La France insoumise (LFI) das Vorbild für “Aufstehen” abgibt, dessen Gründerin Sahra Wagenknecht sich gerade von ihrer Bewegung zurückgezogen hat.

Doch wie so oft kommt der linke Nationalismus nicht allein, er kommt mit seinem Double, dem antisemitischen Ressentiment. Wenn es nicht offene Judenfeindlichkeit ist, dann sind es versteckte Anspielungen, es sind die Signalwörter vom raffgierigen Kapital oder von der imperialistischen Weltverschwörung. Für La France insoumise steht fest: Der französische Präsident hat Dollarzeichen in den Augen. Er ist eine Marionette der Wall Street, der Brückenkopf einer Globalisierung, die Frankreich in die Knie zwingen will. Ein starkes Echo findet Mélenchon in der Gelbwesten-Bewegung, aus deren Reihen Macron schon mal als “jüdische Hure” und “Rothschild-Banker” tituliert wird. Vor drei Wochen wurde der konservative jüdische Philosoph Alain Finkielkraut am Rande einer Demonstration als dreckiger Scheißzionist beschimpft. “Frankreich gehört uns!”

Gewiss, Mélenchon ist für diese Übergriffe nicht verantwortlich, zu Recht findet es
Libération
absurd, ihm Judenfeindschaft zu unterstellen. Doch Mélenchon ist ein Dulder, er reagierte auf skandalöse Weise zögerlich, und nun streitet Frankreich darüber, wie antisemitisch seine Partei ist (vgl.
taz
vom 23. 2. 2019)
. Warum es überhaupt so weit kommen konnte, ist leicht zu erklären: LFI glaubt ernsthaft, die Linke habe nur dann Erfolg, wenn sie die Rechte nachmache. Sie benötigt ein Feindbild, und das Feindbild heißt: die Elite. Oder die EU. Oder die kapitalistische Weltverschwörung. Von Rechten lernen heißt siegen lernen.

Man könnte dieses Denken als Schleppnetztheorie bezeichnen, als kalkulierten Fischzug im Trüben. Ohne Scheu vor falschen Freunden müsse die Linke auf das Volk zugehen und es dort abholen, wo es nun mal stehe: tief im Brackwasser seines Ressentiments. Auch des antisemitischen.

Mélenchon hat sich das nicht allein ausgedacht. Er lässt sich von der belgischen Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe beraten, einer Vordenkerin des linken Populismus. Ihr Rezept ist schlicht, man kann es sich leicht merken: In jedem Ressentiment, in jeder opaken Wut, sagte sie, steckt eine verborgene systemkritische Energie, ein vorpolitisches Aufbegehren gegen die Herrschenden. Demnach wäre auch der Antisemitismus eine – wenngleich besonders abstoßende – Form von Systemprotest. Man muss ihn abfischen, von seinem Wahn kurieren und für den Kampf gegen die Elite in Dienst nehmen.

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