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Cum-Ex: Spion oder Held?

Darf man geheime Dokumente an Staatsanwälte und Steuerfahnder
weitergeben, wenn sie dazu beitragen, den größten Steuerraub der deutschen
Geschichte
aufzudecken? An einem aktuellen Fall ist gut abzulesen, dass über
diese Frage in Deutschland und der Schweiz große Uneinigkeit herrscht.

In Deutschland lautet die Antwort auf die Frage in der Regel ja. Ermittler haben sogar schon CDs von Informanten gekauft,
auf denen sich vertrauliche Bankinformationen von mutmaßlichen Steuerhinterziehern
befanden. Und so wird
auch der Stuttgarter Rechtsanwalt Eckart Seith hierzulande von Staatsanwälten
und Steuerfahndern hoch geschätzt, weil er ihnen brisante Akten übergab, die er
über mutmaßlich illegale Cum-Ex-Geschäfte gesammelt hatte. Das Material half
maßgeblich bei Ermittlungen, die Staatsanwaltschaften in Köln, Frankfurt,
München, Stuttgart und Düsseldorf seit 2014 vorantreiben
.

In der Schweiz sehen die Strafverfolger das ganz anders. Sie
wollen Seith und zwei Mitangeklagten in der kommenden Woche vor dem
Bezirksgericht Zürich den Prozess machen. Die Staatsanwaltschaft Zürich hat Seith wegen Geheimnisverrats und Wirtschaftsspionage angeklagt. Ihm
drohen drei Jahre und sechs Monate Gefängnis.

Der Prozess ist ein weiteres Kapitel in einem Steuerkrieg,
den sich Deutschland und die Schweiz seit vielen Jahren liefern. Nun aber
geraten die Schweizer Behörden im eigenen Land unter Druck. An diesem Dienstag
legen drei renommierte Rechtsprofessoren aus der Schweiz und aus Deutschland
ein Gutachten vor, das die Anklage der Züricher Staatsanwälte in der Luft
zerreißt.

Kurz erklärt – Wie der Cum-Ex-Steuerskandal abgelaufen ist
Es ist der wohl größte Steuerskandal der deutschen Geschichte. Wie Banken und Anwälte Milliarden entwendeten, zeigen wir in diesem Video.

© Foto: Kerstin Welther

Das Gutachten war von den Verteidigern der Angeklagten in
Auftrag gegeben worden. Weder Seith noch seine beiden Mitangeklagten hätten
sich demnach eines Geheimnisverrats oder einer Wirtschaftsspionage strafbar
gemacht, schreiben die Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes aus Bremen, der
Kriminologe Mark Pieth aus Basel und der Wirtschaftsrechtler Anton Schnyder aus
Zürich. Im Gegenteil: Der Schweizer Staat habe ja kein Interesse daran, die
Informationen abzuschirmen, die Seith an die deutschen Behörden weitergegeben
hat. “Der Schweiz ist es kein Anliegen, Schweizer Banken vor einer
(zivil-)gerichtlichen Aufarbeitung ihrer allfälligen Beratungsfehler zu
schützen”, schreiben die Rechtsexperten in dem Gutachten, das ZEIT ONLINE
vorliegt.

In dem Prozess geht es darum, wie weit das Schweizer
Bankgeheimnis reicht. Darüber streiten Deutschland und die Schweiz schon lange.
Schweizer Banken hatten reichen deutschen Kunden mithilfe des Bankgeheimnisses
über Jahrzehnte geholfen, ihr Geld vor dem deutschen Fiskus zu verstecken. Der
frühere deutsche Finanzminister Peer Steinbrück drohte 2009 sogar, er werde die
Kavallerie schicken, um diese Praxis zu beenden. Mittlerweile ist das
Bankgeheimnis gelockert worden. Aber der Steuerkrieg dauert an.

Im vergangenen Jahr hat die ZEIT detailliert über den Fall
Seith berichtet
. Er führt zurück ins Jahr 2013. Damals engagierte der
Ulmer Unternehmer Erwin Müller den Anwalt. Müller hatte die gleichnamige
Drogeriekette aufgebaut und war darüber zum Milliardär geworden. Aus seinem
Vermögen hatte Müller 50 Millionen Euro in sogenannte Cum-Ex-Geschäfte
investiert, vermittelt durch die schweizerische Bank J. Safra Sarasin. Bei den
Deals ging es darum, einmal an den deutschen Fiskus gezahlte Steuern mehrfach
zurückzufordern. Mit dieser Methode waren dem deutschen Staat über Jahre hinweg
viele Milliarden Euro geraubt worden.

Doch bei Müller ging die Sache schief. Deutsche Steuerbeamte
waren misstrauisch geworden und hatten die Auszahlung gestoppt. Müllers Geld
war weitgehend weg. Das wollte der Unternehmer nicht akzeptieren. Er
argumentierte, nicht gewusst zu haben, in was er da genau investiert hatte.

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