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Brexit: Eine Regel von 1604 und ihre Folgen

Großbritanniens Parlamentspräsident John Bercow hat eine dritte Abstimmung über Theresa Mays Brexit-Plan vorerst verhindert. Wie geht es jetzt weiter?

Brexit: John Bercow während einer Debatte im Unterhaus

John Bercow während einer Debatte im Unterhaus
© dpa

Am Mittwoch dieser Woche wollte Premierministerin Theresa May ursprünglich ihr Abkommen mit der EU noch einmal zur Abstimmung im Parlament vorlegen. Am Montag jedoch hat Parlamentspräsident John Bercow das überraschend verhindert. Wie geht es jetzt weiter?

Was bedeutet die Entscheidung von John Bercow?

Sie leitet eine Verfassungskrise ein. Das britische Parlament sollte eigentlich innerhalb der kommenden zehn Tage über den Brexit abstimmen und darf es laut Verfassung nicht. Konkret: Gemäß einer Verfahrensregel des britischen Parlamentes aus dem Jahr 1604 darf die Regierung das Unterhaus in einer Legislaturperiode nicht mehrmals auffordern, über dieselbe Sache abzustimmen. Dies ist nur gestattet, wenn sich der Sachverhalt oder die Rahmenbedingungen “grundlegend” geändert haben.

Damit ist klar: Die britische Regierungschefin Theresa May kann den mit der EU vereinbarten Austrittsvertrag und die politische Erklärung nicht ein drittes Mal zur Abstimmung vorlegen, es sei denn, es wurden weitreichende Änderungen vorgenommen. Dies ist allerdings Interpretationssache. Was heißt “grundlegend”? Ein anderes Datum für den Austritt Großbritanniens aus der EU? Bisher ist dies der 29. März 2019. Oder eine Vereinbarung, dass sich ganz Großbritannien den EU-Vorschriften für den Warenhandel unterwirft und nicht nur Nordirland, wie bisher im sogenannten Backstop vorgesehen? Der britische Minister für den Austritt aus der EU, Stephen Barclay, sagte am Dienstag, dass die Regierung die juristischen Möglichkeiten genau prüfen werde, dass man aber einen Weg findet.

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Welche Notlösungen gäbe es?

Das Parlament wird wie 1948 für wenige Tage aufgelöst und zu Beginn einer dann “neuen” Legislaturperiode wieder einberufen. Dafür müsste jedoch die Queen eingeschaltet werden, die man aus dem Fiasko heraushalten will – also keine gute Idee.

Besser: Das Parlament stimmt mit einer Mehrheit dafür ab, dass es über den Deal von May abstimmen möchte. Das geht aber nur, wenn May sicher weiß, dass sie über eine Mehrheit im Parlament verfügt. Danach sieht es jedoch im Moment nicht aus.

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Welche Strategie verfolgt Theresa May?

Die Regierungschefin arbeitet weiter daran, dass das Parlament ihrem EU-Austrittsvertrag letztlich zustimmt, hat allerdings Schwierigkeiten, das Kabinett hinter sich zu einen. Selbst über die Frage der Verlängerung gab es am Dienstag Streit im Kabinett. Den Brexit zu stoppen, in dem sie Artikel 50 widerruft, kommt für May nicht in Frage, heißt es in Westminster. Eher versucht sie, eine dritte Abstimmung über ihren Vertrag Anfang kommender Woche durchzudrücken.

Noch an diesem Dienstag oder spätestens am Mittwoch will May per Brief bei der EU um einen Aufschub bitten. Laut britischen Medienberichten soll es demnach zunächst um eine Fristverlängerung bis zum 30. Juni 2019 gehen, um den Vertrag ratifizieren zu können. Dafür braucht sie aber die Zustimmung des Parlaments. Andernfalls, so heißt es in Westminster, sei London offen für eine Verlängerung von bis zu zwei Jahren. Allerdings muss May vorsichtig sein, da ihr aus den eigenen Reihen gedroht wird: Sie könnte zum Rücktritt gezwungen werden, würde sie selbst um eine ausgedehnte Verlängerung bitten. Zu welchen Konditionen die 27 EU-Mitgliedsländer aber eine Verlängerung gewähren, muss auf dem Gipfeltreffen am Donnerstag geklärt werden. Einem neuen Brexit-Datum müsste dann noch vom britischen Unterhaus und Oberhaus zugestimmt werden.

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Welche Bedingungen stellt die EU für eine Verlängerung?

Die EU wird sich am Donnerstag mit dem Antrag der britischen Regierung um eine Fristverlängerung nach Artikel 50 auseinandersetzen. Möglich ist, dass die 27 Mitgliedsstaaten von Großbritannien verlangen, zunächst das Ziel einer Verlängerung klarzustellen. Die französische Europaministerin Nathalie Loiseau sagte bereits, dass die EU etwas Neues brauche. Nur eine Verlängerung um der Verlängerung willen komme nicht in Frage. Die EU kann festlegen, dass es lediglich eine kurze Verlängerung gibt, sollte der EU-Vertrag ratifiziert werden müssen. Andernfalls werde nur einer längeren Frist zugestimmt.

Der Nachteil einer ausgedehnten Verlängerung: Das politische Geschacher in Großbritannien könnte vorläufig weitergehen. Die Ultra-Hardliner und EU-Anhängerinnen könnten auf eine Verlängerung hoffen, um dann ihre eigene Strategie durchzusetzen. Der Vorteil: Die Anhänger eines Brexits im Parlament bekommen Angst, dass der jetzige Vertrag von May in der Verlängerung aufgeweicht oder der Brexit gar gekippt wird. Der Druck würde steigen, Theresa May noch im April zuzustimmen.

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Wie wahrscheinlich ist ein zweites Referendum?

Derzeit sehr unwahrscheinlich. Am 14. März hatte das Parlament mit einer großen Mehrheit von 334 gegen 85 Stimmen ein zweites Referendum abgelehnt. Damit wurde deutlich: Selbst mit offizieller Beteiligung von Labour hätte eine zweite Volksabstimmung im Parlament keine Chance. Auch die Verfechter einer Volksabstimmung räumen ein, dass Abgeordnete nur für diese stimmen werden, wenn alle anderen Option ausgeschöpft sind.

Laut der jüngsten Meinungsumfrage von YouGov empfänden es 44 Prozent der Wählerinnen und Wähler als schlecht, wenn es eine zweite Volksabstimmung gäbe und Großbritannien dann in der EU bliebe. 37 Prozent fänden dies gut. Die Mehrheit der Wähler sagt, dass eine Volksabstimmung und der Verbleib in der EU das Ergebnis der ersten Volksabstimmung nicht achte und die Gesellschaft nicht wieder zusammenführe. Daher gibt es bisher auch im Parlament keine Mehrheit für eine zweite Volksabstimmung.

Das mag sich ändern, wenn die Regierung den ausgehandelten EU-Austrittsvertrag auch ein drittes Mal nicht durch das Parlament bekommt und probeweise Abstimmungen zeigen würden, dass es auch für einen noch härteren Brexit oder ein weiches “Norwegen-Modell” keine Mehrheit gibt.

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Ist der No Deal endgültig vom Tisch?

Nein, ist er nicht, obwohl das Unterhaus dagegen gestimmt hat, die EU ohne ein Abkommen zu verlassen. Dies ist jedoch lediglich eine Meinungsäußerung des Parlamentes. Die Regierung ist hier nicht weisungsgebunden. Zudem steht weiterhin das Gesetz, das festlegt, dass Großbritannien am 29. März die EU verlässt. Dies kann nur durch ein neues Gesetz ersetzt werden, zum Beispiel also ein Gesetz, das einen späteren Zeitpunkt festlegt (Verlängerung). Eine andere Lösung wäre ein Widerruf von Artikel 50, der in London jedoch ausgeschlossen wird.

Selbst bei einer Verlängerung kann ein No Deal wieder zum Thema werden, dann nämlich, wenn bis Ende der Verlängerung wieder keine Lösung erreicht wurde. Darauf zielt ein Kern von etwa 20 Hardlinern der Brexit-Anhänger ab, die keinerlei Kompromisse mit der EU eingehen möchten und auf volle Souveränität des Landes pochen. Etwa 44 Prozent der Bevölkerung glauben zudem, dass ein No Deal nicht wirklich schlimm wäre und die Warnungen überzogen seien.

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