/“Alte weiße Männer”: Arbeit am Feindbild

“Alte weiße Männer”: Arbeit am Feindbild

Er ist das Feindbild nicht nur vieler Feministinnen: der “alte weiße
Mann”. Sophie Passmann macht sich auf die Suche nach ihm. Versöhnlich nennt sie ihr Buch im
Untertitel einen
Schlichtungsversuch.

Auf dem von
ZEIT ONLINE
organisierten Festival Z2X18 klang sie 2018 noch anders. Da erklärte sie apodiktisch, dass sich beim “Kampf um den Kuchen” die Welt in zwei Gruppen unterteile: einerseits “weißer, gesunder, christlicher, wohlhabender Mann, der die Erzählungen schreibt, den Kuchen backt und uns die Welt erklärt”, andererseits alle anderen. Passmann trennte eine Menschengruppe von den anderen mit der Strenge jener Ismen, die so viel Unheil angerichtet haben.

Die junge Feministin hat viele Follower bei Instagram und Twitter, ist Radiomoderatorin, gehört zum Team der ZDF-Sendung
Neo Magazin Royale
und hat eine Kolumne im
ZEITmagazin
.
In ihrem Buch verfolgt sie einen konzilianteren Ansatz: Sie besucht einflussreiche Männer und spricht mit ihnen. Schon im Vorwort malt sie sich das Feindbild um. Nicht jeder alte und weiße Mann sei ein “alter weißer Mann”. Für sie mache eher “das Gefühl der Überlegenheit, gepaart mit der scheinbar völligen Blindheit für die eigenen Privilegien”, dieses Feindbild aus. Deshalb wolle sie herausfinden, wann ein mächtiger Mann ein alter weißer Mann werde und ob man es verhindern könne.

Ihren Fragen stellen sich 16 Männer: vom Internet-Erklärer Sascha Lobo über die Journalisten Christoph Amend
(ZEITmagazin)
und Kai Diekmann (Ex-Bild),
die Politiker Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) und Peter Tauber (CDU), den Politologen Werner Patzelt bis zum Sternekoch Tim Raue sowie ihr eigener Vater. Fast alle Gesprächspartner sind in der Medien- und Politikszene zu Hause, kein Vorstand eines Dax-Konzerns ist dabei, kein Bischof, kein General. Weit hat sich die Autorin nicht aus ihrer Filterblase herausgewagt.

Mit Robert Habeck trifft sie sich in Berlin an einer Anlegestelle für Touristenschiffe an der Spree. Habeck freut sich über einen tauchenden Kormoran, Passmann darüber, dass Habeck Sätze sagt wie: “Ich wollte nicht Teil der patriarchalen Machtdominanz sein. Aber auch wenn ich mir einbilde, ein verständnisvoller Mann zu sein, bin ich ja trotzdem in der Logik gefangen. Für Männer ist es nicht so leicht, aus dem Verhaftetsein in der starken Rollendominanz auszubüxen.” Ihre Haltungsnote: “Er ist einer von den Guten.” Der Kabarettist Claus von Wagner
(Die Anstalt)
bringt Weißwein, Brot und vegane Brotaufstriche fürs Picknick im Englischen Garten in München mit. Schnell stellen die beiden fest, dass sie ähnlich ticken. Passmanns Zeugnis: “Wenn alle Männer so wie Claus von Wagner wären, gäbe es gar keine alten weißen Männer.” Dem Politologen Werner Patzelt hingegen erteilt sie einen Tadel. Er sei kein “Vorzeige-Sexist”, “aber in jedem Falle sehr bequem”. Patzelt hatte ihr selbstkritisch anvertraut, dass seine berufstätige Frau sich ums Essen und um die Wohnungseinrichtung kümmere. Der Moderator Jörg Thadeusz findet den Begriff des alten weißen Mannes “so durchbenutzt”. Außerdem lehne er es ab, in eine Gruppe hineindefiniert zu werden. Für Passmann ist dieses Dementieren von Gruppenzugehörigkeiten ein Luxus, den sich nur der weiße Mann erlauben könne. Auch Thadeusz sei “ein weißer Mann, der sich nicht vorstellen kann, wie es ist, sexistisch und rassistisch behandelt zu werden”.

Trotz der Haltungsnoten, die sie vergibt, und trotz der oberlehrerinnenhaften Lektionen in Feminismus, die sie immer wieder einstreut – die Autorin hört ihren Gesprächspartnern zu und lässt sich von ihnen überraschen. Richtig boshaft wird sie nie. Möchte sie eigentlich so sein? Sie weiß es wohl selber nicht. Gegen den harten Politjournalismus habe sie sich entschieden, weil sie “von allen gemocht werden” wolle, schreibt sie. An anderer Stelle heißt es: “Beliebtheit ist mir völlig egal.”

Zu den vielen Widersprüchen gehört, dass Sophie Passmann den Begriff des alten weißen Mannes zwar für untauglich für die Debatte um die Gleichberechtigung hält, aber bewusst benutzt, weil sich mit ihm leicht provozieren lässt. Im Zweifel ironisiert sie Widersprüche weg, was sie gegen Kritik immun macht.

Trotzdem lohnt die Lektüre, weil man der Autorin abnimmt, dass sie wirklich auf der Suche ist. Bleibt die Antwort auf ihre Leitfrage: Kann man verhindern, ein alter weißer Mann zu werden? Dazu gehört Selbstbewusstsein. “Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten schmälert die Angst vor Gleichberechtigung”, so Passmann. Andererseits habe sie eine Art Schnelltest entwickelt: “Männer, die sagen, sie seien unsicher, ob sie ein alter weißer Mann seien, aber man könne das ja mal gemeinsam ergründen, sind keine alten weißen Männer.” Selbstbewusste Unsicherheit ist also das neue Männlichkeitsideal.

Sophie Passmann: Alte weiße Männer. Ein Schlichtungsversuch
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019; 304 S., 12,– €, als E-Book 9,99 €

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