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Polizei: Fahndung nach Vorurteilen

Der Mann, von dem die hessische Polizei lernen soll, weniger diskriminierend zu sein, kann ein ziemlicher Fiesling sein. Schon in der Anmeldeschlange raunzt Jürgen Schlicher manche Teilnehmer an, weil sie unsicher sind, wo sie sich eintragen müssen. Wer ihm besser passt, bekommt dagegen ein Lächeln von ihm und darf sich Kaffee nehmen. Die Teilnehmer ahnen langsam, dass ihr Workshop längst begonnen hat.

Das ist die Methode von Schlicher, der die Fiesheit nur spielt: Wie mächtig Vorurteile und Gruppendruck sind, lässt er die Leute am eigenen Leib spüren. In seinen Blue-Eyed-Workshops trennt er die Braunäugigen von den Blauäugigen und schwört erstere darauf ein, dass sie gleich beobachten könnten, dass viele der Vorurteile gegen die dümmlichen Blauäugigen wahr seien. Und tatsächlich: Den Blauäugigen gelingen selbst einfachste Dinge wie Vorlesen oder Schreiben kaum, so verunsichert sind sie. Und die Braunäugigen beginnen, zu glauben, dass sie besser seien als die anderen, und widersprechen dem Workshopleiter oft nicht. Wie diese Workshops ablaufen, lässt sich gut in dem Film Der Rassist in uns beobachten. Während die Polizisten und Verwaltungsbeamten diese Erfahrung machen, bleiben sie unter sich, erst am nächsten Tag zur großen Diskussion darf ZEIT ONLINE dabei sein.   

Das Thema Diskriminierung könnte aktueller kaum sein, sagt der Veranstalter, die hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung, selbst. Das liegt auch daran, dass im Dezember ein Fall in Frankfurt bekannt wurde, der weit über Alltagsdiskriminierung hinausgeht: Es wird gegen mutmaßlich rechtsextreme Beamte aus dem ersten Frankfurter Revier ermittelt, die rassistische Chatnachrichten verschickt haben sollen. Außerdem wurden Daten von einem Polizeicomputer genutzt, um einer Frankfurter Anwältin Drohbriefe zu schreiben. Die Ermittlungen dauern noch an.

Warum sagte niemand etwas?

Wie konnte es so weit kommen? Warum sagte keiner der Kollegen etwas? Viele Polizisten verurteilten zwar nach Bekanntwerden die rechtsextremen Nachrichten, äußerten aber Verständnis dafür, wenn Kollegen Vorurteile entwickelten, weil sie an Brennpunkten immer wieder mit denselben Gruppen zu tun hätten. Obwohl der Workshop an der hessischen Hochschule bereits geplant war, bevor der Fall bekannt wurde, kommt er also genau zur richtigen Zeit.

Und der Bedarf nach Selbstreflexion ist offenbar riesig: Der Saal ist voll, als Schlicher in Jeans und Sakko vor seinem Publikum steht. 170 Menschen sitzen an diesem Mittwoch in Mühlheim am Main auf unbequemen Stühlen und hören dem Antidiskriminierungstrainer aufmerksam zu. Es sind Streifenpolizistinnen und Verwaltungsbeamte, Polizeioberräte und Studierende. Nur 25 von ihnen konnten am Tag zuvor am Workshop teilnehmen. Heute auf dem Hochschultag zur Anatomie von Diskriminierungsstrukturen wollen sie mitdiskutieren, selbstkritisch.

Während Schlicher freundlich referiert, fällt es schwer, sich den Fiesling vom Vortag vorzustellen. Er berichtet vom Workshop. Wie sehr sich die Teilnehmenden am Vortag in ihre Rollen der Diskriminierten und Mitläufer eingefunden hätten, erzählt er anhand eines Beispiels: Ein Blauäugiger sollte auf dem Boden sitzen, weil nicht genügend Stühle da waren. Er weigerte sich. Eine Dreiviertelstunde habe die Gruppe der Braunäugigen diskutiert, wie sie ihn dazu kriegen könnten – anstatt sich im Saal umzuschauen und zu bemerken, dass dort noch leere Stühle stehen. “Wir könnten einfach sagen, es gibt zu viele Blauäugige”, sagt Schlicher. Oder man denke darüber nach, wessen Problem es ist, wenn es zu wenig Stühle gibt: Wirklich das Problem derer, die darauf sitzen sollen?

Schlicher holt sein Publikum ab mit einem weiteren Beispiel über Vorurteile beim Autofahren. Aber erst, als er über Polizeiarbeit spricht, wird es mucksmäuschenstill im Saal. “Bestimmte Personen werden häufiger kontrolliert”, sagt Schlicher. Es geht ihm jetzt um seinen zentralen Punkt: Polizistinnen und Polizisten schaffen durch ihre Vorurteile selbsterfüllende Prophezeiungen. Das lässt sich so zusammenfassen: Ein Streifenpolizist, der überzeugt ist, dass schwarze Menschen mehr Straftaten begehen, und sie deshalb öfter kontrolliert, entdeckt bei ihnen logischerweise auch mehr Straftaten. Und viele der Verhaltensweisen, die den Polizisten negativ auffallen, erzeugten sie selbst mit, erklärt Schlicher. Etwa, wenn sie sie aus unbewussten Vorurteilen heraus schlechter behandeln und die Menschen deshalb widerwillig sind. Jeder Mensch habe Vorurteile, sagt Schlicher. Wichtig sei, sie sich bewusst zu machen.

Ein Mann aus der Gruppe der Blauäugigen hatte den Workshop gleich zu Beginn abgebrochen, weil er sich so schlecht nicht hatte behandeln lassen wollen. Nach Schlichers Vortrag steht er auf und fragt: “Warum seid ihr anderen Blauäugigen nicht auch gegangen?” Und warum veranstalte die Hochschule überhaupt ein solches Seminar, das so weit entfernt sei vom Leitbild der Hochschule und dem polizeilichen Umgang?

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