/Ferda Ataman: “Wer Integration fordert, muss lernen zu teilen”

Ferda Ataman: “Wer Integration fordert, muss lernen zu teilen”

Die Journalistin Ferda Ataman ist eine der bedeutendsten migrantischen Stimmen Deutschlands. Nun hat sie ihr erstes Buch veröffentlicht, ein temperamentvolles, aber auch ungeduldiges Plädoyer an die deutsche Gesellschaft, endlich in der durch Migration geprägten Gegenwart anzukommen: Wir Migranten haben uns integriert, nun seid ihr mal dran. Wir treffen uns an einem ungewöhnlich kalten Vormittag in Berlin, wo Ferda Ataman wohnt. In ihrem Arbeitszimmer steht ein langer weißer Schreibtisch, im Bücherregal liegen stapelweise Reiseführer, ich setze mich aufs Sofa, Ferda nimmt in einem Sessel gegenüber Platz. Auf dem Tisch steht eine Thermoskanne mit frischem Ingwertee und ein Glas Honig.

ZEIT ONLINE: Sie haben gerade das Hashtag #vonhier initiiert. Warum?

Ferda Ataman: Initiiert würde ich nicht sagen, ein Hashtag läuft oder läuft nicht. Dieter Bohlen hat vor einigen Wochen ein Mädchen, das in der Supertalent-Show auftrat, vor laufenden Kameras gefragt: Wo kommst du denn her? Und als das Mädchen “Herne” antwortete, hat er noch einmal nachgehakt: Wo sie wirklich herkommt? Wo ihre Eltern herkommen? Wo ihre Großeltern herkommen? Diese Videosequenz hat viele verärgert. Als ich mein Buch Ich bin von hier. Hört auf zu fragen! schrieb, habe ich anfangs gezweifelt, ob der Titel überhaupt noch aktuell ist. Wir reden ja schon seit Jahrzehnten darüber. Also ich rede darüber, seit ich 15 bin. Aber an Dieter Bohlen habe ich gesehen, nein, das ist in der Mehrheitsgesellschaft noch immer nicht angekommen.

Ferda Ataman: Jana Hensel ist Schriftstellerin und Autorin bei ZEIT ONLINE. Ihr Buch "Wer wir sind: Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein" erschien 2018 im Aufbau-Verlag.

Jana Hensel ist Schriftstellerin und Autorin bei ZEIT ONLINE. Ihr Buch “Wer wir sind: Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein” erschien 2018 im Aufbau-Verlag.

© Michael Heck

ZEIT ONLINE: Was ist Ihnen als 15-Jährige denn passiert?

Ataman: Ich habe in Nürnberg als Babysitterin gejobbt und weiß noch, dass ich mit den Eltern des Kindes darüber diskutiert habe. Ich dachte, die sind bei den Grünen und verstehen, warum ich die Frage nicht besonders mag, ich bin schließlich in Deutschland geboren. Aber auch sie haben mir erklärt, dass ich das missverstehen würde, dass die Frage freundlich gemeint sei. Was ich damals zum ersten Mal verstanden habe war, dass sie meine Perspektive nicht wahrnehmen wollten. Sie bestanden weiterhin darauf, dass es nett gemeint war.

ZEIT ONLINE: Ich bin von hier. Hört auf zu fragen! ist ein sehr politisches Buch. Sie sparen eher mit solchen persönlichen Geschichten.

“Bei #vonhier geht es um Zugehörigkeit”

Ataman: Stimmt. Aber ich arbeite viel mit Beispielen aus dem Alltag. Solche Woher-kommen-Sie-eigentlich-Dialoge passieren einem wirklich oft und enden meist damit, dass ich mit wildfremden Leuten über die Türkei oder über Erdoğan sprechen muss.

ZEIT ONLINE: Was war das Besondere an #vonhier?

Ataman: Dass die Geschichten größtenteils humorvolle Pointen hatten. Zum Beispiel:
– Wo kommen Ihre Wurzeln her?
– Aus Afrika. Wie Ihre auch.
Manche haben gefragt, was der Unterschied zur #metwo-Debatte ist. Ich würde sagen, #metwo war ein Rassismus-Hashtag, bei #vonhier geht es um Zugehörigkeit. Das ist nicht dasselbe.

ZEIT ONLINE: Was meinen Sie genau?

Ataman: Der Wurzel-Smalltalk weist auf ein problematisches Selbstbild hin. Wir finden es normal, wegen äußerlichen Merkmalen auf eine ausländische Herkunft zu schließen. Wir haben ein verqueres Bild davon, wer von hier ist und wer nicht. Der traditionelle Katalog von Deutschen – also zugespitzt Menschen mit blauen Augen und blonden Haaren – erscheint mir absolut rückständig. Deutsche können auch “asiatisch aussehen” oder türkische Namen haben. 
Wie fanden Sie denn #vonhier?

ZEIT ONLINE: Ich habe festgestellt, dass ich diese Wo-kommst-du-her-Frage selbst viel zu oft gestellt habe.

Ataman: Und haben Sie sich durch dieses Hashtag angegriffen gefühlt?

“Wir reden wieder wie besessen über Migration”

ZEIT ONLINE: Nein, ich bin eher erschrocken, wie viele das tun. Sie arbeiten seit vergangenem Jahr als Spiegel-Kolumnistin. Sie sind die erste dort mit Migrationsblabla, wie Sie sagen würden. Kam daher die Idee zu Ihrem Buch?  

Ataman: Eigentlich ist ja Margarete Stokowski die echte Migrantin in unseren Reihen, sie kam als Kind aus Polen nach Deutschland. Und vielleicht noch Sibylle Berg, die in die Schweiz gezogen ist. Aber interessanterweise werde ich als die Migrantin unter den Kolumnistinnen wahrgenommen, obwohl ich nicht migriert bin. Aber ausschlaggebend für das Buch ist die Debatte seit 2015 – die eine Zäsur darstellt. Wir reden wieder wie besessen über Migration als Bedrohung und Integrationsprobleme.

ZEIT ONLINE: Spüren Sie das auch in Ihrem Alltag?

Ataman: Logisch. Ich stehe auf einer Party, will einfach nur ein Bier trinken und muss plötzlich darüber diskutieren, warum Muslime sich so schwertun mit dem Integrieren. Oder dass man doch nicht alle Geflüchteten aufnehmen könne. Ich höre diese Problemdebatten ständig, auf der Straße, im Radio oder im Fernsehen. Der Koalitionsvertrag von 2018 ist das beste Beispiel für diesen Umschwung. Der liest sich völlig anders als der von 2013, als hätte sich inzwischen die gesamte Bundesrepublik verändert. Im Zentrum stand auf einmal sinngemäß die Frage: Wie schaffen wir es, dass sich die deutsche Gesellschaft in dieser Flut von Ausländern nicht selbst verliert?

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