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Jens Spahn: Ein Minister, der sich was traut

Beim Augenarzt anrufen und innerhalb der nächsten zwei Wochen einen Termin bekommen? Auf die Behandlung bei der Orthopädin nicht so lange warten müssen, bis der Rücken höllisch schmerzt? Hört sich gut an. Ist aber für gesetzlich Versicherte nicht die Regel.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat das Thema zur Chefsache gemacht. Das ist gut. Denn langes Warten auf Facharzttermine ist eines der Hauptärgernisse von Kassenpatienten. Während für privat Versicherte ein Anruf genügt, um kurzfristig einen Termin beim Spezialisten zu bekommen, heißt es für gesetzlich Versicherte oft: “Tut uns leid, alles dicht” oder: “Wir hätten da einen Termin in fünf Monaten für Sie”.

Der Bundestag hat Spahns Terminservicegesetz mit den Stimmen der großen Koalition verabschiedet. Das Versprechen lautet: Kassenpatienten erhalten künftig schneller Arzttermine. Erreicht werden soll das durch mehr Sprechstunden, zusätzliche Vermittlungsangebote und Extraanreize für die Mediziner. 

Aber klappt das auch? An dem Thema haben sich schon einige von Spahns Vorgängerinnen und Vorgängern versucht – und verhoben. Skepsis ist also berechtigt.

Zwei Ansätze sind neu: Erstens werden niedergelassene Ärzte verpflichtet, künftig mindestens 25 Stunden pro Woche
Sprechstunde für gesetzlich Versicherte anzubieten. Bislang sind es 20. Auch offene Sprechstunden ohne feste Termine bei
bestimmten Ärzten wie Gynäkologinnen oder HNO-Ärzten soll es geben. Das ist ein richtiger, wenn auch wohl kein ausreichender Schritt, um das Angebot der Nachfrage anzunähern, denn viele Ärzte haben schon heute länger Sprechzeit, als sie müssten.

Abbau der Zweiklassenmedizin?

Wirksamer wird voraussichtlich der zweite neue Ansatz: mehr Geld für die Behandlung von mehr Kassenpatienten. Konkret bekommt eine Hausärztin künftig einen Zuschuss von mindestens zehn Euro, wenn sie ihrem Patienten einen kurzfristigen Facharzttermin vermittelt. Der behandelnde Facharzt bekommt eine Vergütung außerhalb seines Budgets. Bei Vermittlung durch eine Terminservicestelle kommen die Mediziner in den Genuss eines nach Wartezeiten gestaffelten Zuschlags. Ein Plus von 50 Prozent auf die Versichertenpauschale wird fällig, wenn der Termin innerhalb einer Woche zustande kommt. In der zweiten Woche sind es 30, in der dritten und vierten Woche 20 Prozent. 

Die 600 bis 800 Millionen Euro, mit denen Gesundheitsminister Spahn Ärzte motivieren will, mehr Kassenpatienten zu versorgen, sind gut angelegt. Denn ein wesentlicher Grund, warum privat Versicherte beim Arzt bevorzugt werden, ist, dass der ihre Behandlung teurer abrechnen kann. Deshalb ist es sinnvoll, hier den Hebel anzusetzen. Bestenfalls machen die finanziellen Anreize die Facharztterminvergabe gerechter – wobei noch nicht wirklich abzusehen ist, ob der Zuschlag hoch genug ist.

Und gegen einen weiteren Grund für lange Wartezeiten hat die Politik bislang
keine wirksame Medizin gefunden: den Ärztemangel. Vor allem in
ländlichen Regionen, aber auch in ärmeren Stadtteilen fehlen Tausende
Medizinerinnen und Mediziner. Trotzdem geht das Gesetz in die richtige Richtung.

Die Opposition kritisiert, Spahn sei stärker am eigenen Marketing interessiert als an echten Verbesserungen für Patienten. Zumindest dieses Mal kommt der Vorwurf verfrüht. Immerhin traut er sich mit einem umfangreichen Konzept an
eines der drängenden Probleme des Gesundheitswesens heran. Mal abwarten, wie viel Ärger es Kassenpatienten erspart.

Nebenbei hat die große Koalition zu ihrem einjährigen Bestehen mit dem Gesetz auch gezeigt, dass sie funktioniert. Spahn kann es locker nehmen, dass SPD-Chefin Andrea Nahles das Terminservice- und Versorgungsgesetz als einen richtigen Abbau der Zweiklassenmedizin bejubelt und somit als sozialdemokratischen Erfolg labelt. Wird das Gesetz ein Erfolg, wird genug Glanz auf ihn fallen.

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