/Berufswahl: Schließen sich sinnstiftende Arbeit und ein faires Gehalt aus?

Berufswahl: Schließen sich sinnstiftende Arbeit und ein faires Gehalt aus?

Mit
Kosten-Nutzen-Rechnungen kennt er sich aus. Fabian Schenk, 31 Jahre alt, war jahrelang Business Analyst. Sein
duales Studium absolvierte er bei Adidas in Herzogenaurach bei Nürnberg und
arbeitete danach einige Jahre in der Abteilung für High-End-Fashion des
Unternehmens. Dort, wo sich ein Team aus Designern, Entwicklern und
Marketingfachleuten ausdenkt, wie man das nächste Paar edler Schuhe erst auf
die Laufstege in Paris, London und Berlin und dann in die Läden bringt. Schenk
wusste, wie hoch die Gewinnspanne bei einem Designschuh ist, der in asiatischen Niedriglohnländern produziert wird und dann am Fuß von reichen Kundinnen und
Kunden landet. Er analysierte, wo noch Luft nach oben ist und wo gespart werden
kann.

Vor drei Jahren begann Schenk
eine sehr persönliche Kosten-Nutzen-Rechnung: Er hatte Spaß an seinen Aufgaben
bei Adidas und mochte die Kolleginnen und Kollegen, die sich wie er für Sport
begeisterten. Nach Feierabend gingen sie zusammen Fußballspielen, an den
Wochenenden in die Berge zum Snowboarden. “Es gab ein richtig gutes Teamgefühl”,
sagt er. Trotzdem fehlte ihm etwas. Etwas, das sich wohl am besten mit dem Wort
Sinn beschreiben lässt. Das Ziel bei Adidas sei immer
gewesen, mehr Gewinn zu machen und noch weiter zu wachsen. Irgendwann fragte
Schenk sich: “Wie macht das nächste Paar 500-Euro-Schuhe die Welt auch nur ein
bisschen besser?” Nach Reisen durch Kuba und Südamerika war er sich
sicher: Einen Milliardenschweren Konzern noch größer zu machen, entsprach nicht
mehr seiner Vorstellung von sinnvoller Arbeit. “Ich habe beim Reisen
existenzielle Konflikte gesehen, von denen wir in Deutschland nichts
mitbekommen, für die wir teilweise aber mitverantwortlich sind. Das alles zu
erleben, aber kein Ventil für meine Ideen und Verbesserungsimpulse zu haben,
hat eine wahnsinnige innere Unruhe bei mir ausgelöst”, sagt er.

“Das Unternehmen steht für das Gegenteil von nachhaltiger Wirtschaft. Überall ist Palmöl drin, es gibt keine Biozertifikate und auch keinerlei Motivation, sich in diese Richtung zu entwickeln.”

Steffi Seitz

Seit einem Jahr arbeitet
Schenk nun bei einer kleinen Strategieberatung für Social Businesses, die das
Gute schon im Namen trägt: Value
for Good. Zusammen mit elf Kolleginnen und Kollegen unterstützt er andere
Unternehmen darin, ihr Geschäftsmodell sozialer, weiblicher und nachhaltiger zu
gestalten. Für ihn ging die Rechnung auf: Er ist heute zufriedener mit seinem
Job, und die innere Unruhe ist weg.

Schenk ist nicht allein mit
seinem Wunsch, Gutes zu tun. Dass die Nachhaltigkeit eines Unternehmens vor
allem für die zwischen 1980 und 2000 geborenen Millenials inzwischen
ausschlaggebend bei der Wahl des Jobs ist, zeigen verschiedene Studien in den USA, Deutschland und im globalen Vergleich.
Drei Viertel der Befragten einer repräsentativen US-Studie aus dem Jahr 2016 würden Einbußen beim Gehalt hinnehmen, wenn sie für
ein Unternehmen arbeiteten, das sozialökologische Verantwortung übernimmt.
Mehr als 80 Prozent empfinden eine höhere Loyalität gegenüber einem grünen Unternehmen,
und fast 90 Prozent sagten, Arbeit sei erfüllender, wenn sie die Möglichkeit
biete, direkten Einfluss auf gesellschaftliche oder ökologische Themen zu
nehmen. Eine Untersuchung der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in
Nürtingen-Geislingen spiegelt diese Zahlen im Kleinen. Am wichtigsten waren den
rund 300 Befragten der Stichprobe aus dem Umfeld der Hochschule bei ihrem
Arbeitgeber die Reduktion von Emissionen, die Umsetzung von
Menschenrechtsverpflichtungen, die Verhinderung von Ausbeutung, Lohngerechtigkeit
zwischen Männern und Frauen sowie Transparenz entlang der Wertschöpfungskette.

Das gewachsene Bewusstsein für
Nachhaltigkeit findet sich bereits in Gesetzen wieder: Seit 2017 sind
Unternehmen ab 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesetzlich verpflichtet,
in ihrem Geschäftsbericht Auskunft über ihre Nachhaltigkeitsbemühungen zu
geben. Nachhaltigkeit ist eine Währung, die heute nicht mehr nur in den
einschlägigen Industrien wie der Solarenergie oder im Umweltschutz etwas wert
ist. Social Businesses oder Sozialunternehmen, ein Begriff, der auf den
Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus zurückgeht, sind Firmen, deren
Zweckbestimmung auf die Lösung sozialer oder ökologischer Probleme ausgerichtet
ist und die auf spekulative Gewinne verzichten, ähnlich wie
Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen.

Berufswahl: Im Auftrag der ZEIT hat das infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft quer durch alle Berufsgruppen 1.000 Menschen befragt, was sie sich von ihrem Arbeitsplatz wünschen. In der Serie "Mein Job und ich" auf ZEIT ONLINE zeigen wir die Ergebnisse und erzählen die Geschichten dahinter.

Im Auftrag der ZEIT hat das infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft quer durch alle Berufsgruppen 1.000 Menschen befragt, was sie sich von ihrem Arbeitsplatz wünschen. In der Serie “Mein Job und ich” auf ZEIT ONLINE zeigen wir die Ergebnisse und erzählen die Geschichten dahinter.
© Christoph Rauscher für ZEIT ONLINE

Was Menschen wie Fabian Schenk
motiviert, zu solch einem Unternehmen zu wechseln, beschäftigt die
Arbeitspsychologie. Wer Aufgaben als übereinstimmend mit dem eigenen Selbstbild
empfindet, wer in der Firmenphilosophie die eigenen Werte und Normen
wiederfindet, wer das Gefühl hat, seine Arbeit habe einen Mehrwert für andere,
und wer ein Zugehörigkeitsgefühl zu seinen Kolleginnen und Kollegen empfindet,
der nimmt seine Arbeit mit hoher Wahrscheinlichkeit als sinnvoll wahr. Zu
diesem Schluss sind Arbeitspsychologen in einem aktuellen Beitrag im Oxford
Handbook of Meaningful Work
gekommen.

Auch bei Steffi Seitz*, Anfang 30, passten die eigenen Wertvorstellungen nicht zu denen ihres
ehemaligen Arbeitgebers, einer Werbeagentur in Berlin. Deren Hauptkunde ist ein
großer italienischer Süßwarenhersteller. Den Namen will sie nicht sagen und aus
Angst vor Gerede auch nicht ihren eigenen. Nur so viel: “Das Unternehmen steht
für das Gegenteil von nachhaltiger Wirtschaft. Überall ist Palmöl drin, es gibt
keine Biozertifikate und auch keinerlei Motivation, sich in diese Richtung zu
entwickeln.” Nach und nach erfuhr Seitz Details über Herstellungsprozesse und
Verhandlungen etwa mit Kakaobauern und anderen Zulieferern. Schnell wurde ihr
klar, dass der Konflikt zwischen den eigenen Wertvorstellungen und denen des
Unternehmens zu groß ist. Auch am Rollenbild, das das Unternehmen
kommunizierte, stieß sich die junge Frau: “Geworben wurde mit einem klassisch
katholischen Rollenbild von Frau und Familie. In den Werbespots, die das Unternehmen in Auftrag gegeben hat, waren alle blond, weiß und hetero.” Das entsprach weder
ihrer Realität noch ihrem Familienbild, erzählt Seitz.

Hits: 1