/“Reiß aus”: “Reisen ist nicht die Lösung aller Probleme”

“Reiß aus”: “Reisen ist nicht die Lösung aller Probleme”

Einfach alles in ein
Auto packen und losfahren, so hat sich das Lena Wendt immer vorgestellt mit dem
Abenteuer – und dann hat sie ihren Traum im Herbst 2014 wahr gemacht. Ihr
Freund Ulrich Stirnat hatte gerade einen Burn-out hinter sich, sie selbst war auch
überarbeitet, wollte raus. Eigentlich sollte die Reise von Hamburg nach
Südafrika führen. Sechs Monate waren geplant. Doch dann kam alles anders. In
zwei Jahren haben die beiden Reisenden 46.000 Kilometer in Westafrika
zurückgelegt, auf staubigen Pisten, durch Wüste und am Meer.

ZEIT ONLINE: Ihre
Reise sollte von Hamburg nach Südafrika führen. Warum haben sich die Pläne
geändert?

Lena Wendt: Wir
sind schon in Marokko drei Monate geblieben, solange das Visum gültig war,
einfach weil wir es so wunderschön fanden. Die Wüste, das Atlasgebirge, das
Meer zum Wellenreiten – und alles nah beieinander. Außerdem haben wir dort
schon gemerkt, dass es häufig einfach anders kommt als geplant auf so einer
Reise. Es gab ein mächtiges Unwetter damals. Wir saßen deshalb einige Tage in
der Wüste fest, weil Brücken überflutet oder sogar eingestürzt waren, und
konnten dann am Meer erst nicht surfen, weil das Wasser noch verschmutzt war.

ZEIT ONLINE: Da
haben Sie beschlossen, lieber eine Tour durch Westafrika zu unternehmen?

Wendt: Ich habe
schnell gemerkt, dass es mir nicht mehr wichtig ist, wann wir ankommen und ob
überhaupt. Ulli hat länger an der Idee festgehalten, Gas zu geben und es bis
nach Südafrika zu schaffen. Aber irgendwann haben wir uns einfach treibenlassen. Durch Westafrika wollten wir sowieso. Diese Route haben wir gewählt,
weil ich schon öfter allein mit dem Rucksack in Ostafrika war, in Südafrika
habe ich mal eine Weile gelebt. Ich wollte auch die andere Seite kennenlernen.
Westafrika, habe ich gedacht, ist vor allem noch ursprünglicher. Das hat mich
gereizt!

ZEIT ONLINE:
Insgesamt haben Sie in zwei Jahren 14 Länder bereist. Welches hat Sie besonders
beeindruckt?

Wendt: Die
Elfenbeinküste. Es gibt dort ein kleines Fischerdorf, in dem ich seitdem schon
zweimal wieder gewesen bin und wohl noch öfter hinfahren werde. Das ist
mittlerweile wie Familie. Das Beste an der Reise war, dass wir überall so tolle
Menschen kennengelernt haben. Im Senegal nahmen wir zum Beispiel einen Ranger
aus einem Nationalpark mit, der nach drei Monaten Arbeit vier Wochen freihatte. Die Fahrt zu seiner Familie dauerte zwei, drei Stunden. Am Ende haben
wir dort gegessen und sind über Nacht geblieben. Am nächsten Morgen drückte
mich die Oma und gab mir über die anderen zu verstehen, dass sie sich nie hätte
träumen lassen, dass wir beide einmal Zeit miteinander verbringen. Richtig
verständigen konnten wir uns nicht, weil wir keine gemeinsame Sprache hatten.
Trotzdem kamen uns beide die Tränen. Das war ein besonders schöner Moment.

ZEIT ONLINE: Es
gab auch weniger schöne Erlebnisse. Der Filmtrailer beginnt gleich mit den
Worten: “Ach, so eine Scheiße!” Ihr Partner Ulli liegt unter dem Land Rover und
hantiert mit Kabelbindern. Welche Rückschläge haben Sie noch erlebt?

Wendt: Jede
Menge. So extrem hatten wir das nicht erwartet. Das Auto musste permanent
repariert werden. In Mali erlebten wir Tage mit 49 Grad, das ist kaum
auszuhalten, und nach der Regenzeit schimmelten uns die Klamotten und das Zelt
weg. Oft war es umständlich und teuer, an Visa zu kommen, es gab viele
Kontrollen, die Reise zog sich in die Länge. Das alles geht an die Substanz!
Das soll man auch sehen. Wir wollten einen authentischen Film machen. Hinzu
kam, dass wir 24 Stunden aufeinandersaßen, das war auch nicht so romantisch wie
anfangs gedacht.

ZEIT ONLINE: Haben
Sie deshalb die Reise nach zwei Jahren beendet?

Wendt: Das hatte
ganz pragmatische Gründe. Unsere Langzeitauslandskrankenversicherung lief ab
und der Zwischenmieter wollte raus aus der Wohnung.

ZEIT ONLINE: Ein
Ziel war es, die eigene Einstellung zum Leben zu verändern. Ist Ihnen das
gelungen?

Wendt: Egal wie
lang ich vorher weg war, ich steckte immer wieder schnell im Alltagstrott fest.
Das sollte dieses Mal anders sein. Den Schlüssel dazu wollte ich auf der Reise
finden. Als wir auf der Rückfahrt waren, dachte ich, ich habe ihn noch nicht
gefunden – und wurde panisch. Wir sind deshalb auch nur kurz in Hamburg
geblieben, um die wichtigsten Dinge zu regeln, und danach gleich für sechs
Monate nach Marokko gezogen. Wirklich verändert hat sich meine Einstellung dann
bei einem Meditationsseminar. Da habe ich gelernt, nicht so hart zu mir selbst
zu sein und mich wohlwollender zu betrachten. Das wäre ohne die Reise nicht
möglich gewesen. Die Zeit hat mich verändert. Ich weiß jetzt, was mir Spaß
macht: draußen sein, barfuß gehen, lachen, tanzen und in Gemeinschaft leben.

ZEIT ONLINE: Mit
Ihrem Film wollen sie anderen Mut machen, aus ihrem Alltag auszubrechen. Sollen
wir jetzt alle durch die Welt reisen?

Wendt: Reisen ist
nicht die Lösung aller Probleme. Aber Reisen hilft, um rauszukommen und die
eigenen Probleme von außen zu betrachten. Jeder hat einen Traum. Bei vielen ist
es die Sehnsucht nach einer grundlegenden Veränderung. Das muss nicht immer
Fernweh sein. Vor der Reise habe ich das gemacht, was man halt macht, war
produktiv, funktionierte, passte ins System. Ich glaube, das geht vielen so.
Wir tun etwas, was uns gar nicht entspricht, weil wir verlernt haben, auf
unsere Gefühle zu hören. Dabei hilft es, in sich zu gehen.

ZEIT ONLINE: Die
Reise ist inzwischen mehr als zwei Jahre her. Wie leben Sie heute?

Wendt: Wir
arbeiten beide nicht mehr wie früher. Keine 90-Stunden-Wochen mehr, diktiert
von To-do-Listen. Zurück in Deutschland sind wir zu Freunden gezogen, die im
Hamburger Umland ein Haus gekauft hatten. Wir haben den Film produziert, ich
habe über die Reise ein Buch geschrieben. Ulli hat eine Ausbildung zum
Hundetrainer gemacht, ich habe imkern gelernt und im Sportverein Yoga-Kurse
gegeben. Wir tauschen viel mit anderen, machen Foodsharing. Gerade wohnen wir
wieder im Auto und schlafen bei Freunden für die Kinotour durch Deutschland.

ZEIT ONLINE: Und
wann steht die nächste Reise an?

Wendt: Ich war
erst diesen Winter wieder in der Elfenbeinküste und in Marokko. Es zieht mich
immer wieder nach Afrika, aber Pläne machen wir keine mehr.

Mehr Informationen zum Film finden Sie hier.

Dies ist ein Artikel aus dem Hamburg-Ressort der ZEIT. Hier finden Sie weitere News aus und über Hamburg.

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