/Chemotherapie: Eine Zukunft nach dem Krebs

Chemotherapie: Eine Zukunft nach dem Krebs

Bisher mussten junge
Krebspatient*innen die teure Konservierung von Sperma
oder Eizellen selbst bezahlen. In dieser Woche berät der Bundestag in
zweiter und dritter Lesung über ein Gesetz, welches das ändern kann.

Als
ich mit 24 die Diagnose Krebs bekam, war Sommer. Ich schmiedete Reisepläne,
verbrachte Zeit am See und freute mich auf mein anstehendes Praktikum.
Zukunftsideen hatte ich viele. Nicht nur berufliche Vorstellungen, sondern auch
den Wunsch, irgendwann eine Familie zu gründen. Der Krebs kam plötzlich und wie
ein gewöhnlicher Knieschmerz. Erst ein paar Wochen darauf wurde er als die
Gefahr erkannt, die er wirklich war. Abgeschrieben war der Urlaub in Schweden
und ich stattdessen damit beschäftigt, Schocknachrichten zu verdauen. Im ersten
Gespräch verkündete meine Onkologin mir nicht nur, dass ich eine Chemotherapie
und Bestrahlung beginnen müsse, sondern auch, dass ich durch diese Behandlung
unfruchtbar werden könne. Das Risiko einer Unfruchtbarkeit hängt von den
Medikamenten, dem Alter und dem Bestrahlungsbereich ab. Wenn ich irgendwann
biologisch eigene Kinder haben wollte, erklärte sie, müsste ich jetzt
vorsorgen. So ging ich an diesem Tag nicht nur mit einer Krebsdiagnose nach
Hause, sondern auch mit einem Termin in einem Kinderwunschzentrum.

Chemotherapie: Karolin Kolbe, geboren 1993 in Kassel, schreibt Jugendbücher und kurze Texte, rettet Lebensmittel und studiert Angewandte Literaturwissenschaft in Berlin. Sie ist Gastautorin bei "10nach8".

Karolin Kolbe, geboren 1993 in Kassel, schreibt Jugendbücher und kurze Texte, rettet Lebensmittel und studiert Angewandte Literaturwissenschaft in Berlin. Sie ist Gastautorin bei “10nach8”.
© privat

Die
aggressiven Zytostatika töten im besten Fall die Krebszellen. Da diese
Medikamente aber nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden, bekämpfen sie
Zellen im ganzen Körper. Besonders leiden darunter solche, die sich schnell
teilen, und das sind neben den Krebszellen vor allem Haut-, Haar-, Blut- und
Keimzellen.

Sofern
die Chemotherapie nicht sofort beginnen muss, gibt es heute die Möglichkeit, vorzusorgen.
Männer können für etwa 500 Euro Sperma einfrieren. Für Frauen gibt es
unterschiedliche Möglichkeiten. Am üblichsten ist die Kryokonservierung, so der
wissenschaftliche Begriff für das Einfrieren von Eizellen.
Das war auch die Methode, der ich mich unterzog. Das Verfahren kannte ich aus
irgendeinem Artikel, allerdings unter dem Begriff Social Freezing.

Bis
dahin konnte ich mir nicht vorstellen, irgendwann eine der Frauen zu sein, die
Eizellen für später einfriert. Doch dann saß ich mit zerschlissenen Stiefeln im
Wohlfühlwartezimmer des Kinderwunschzentrums und fragte mich, was aus meiner
Zukunft werden solle. Zwei Wochen lang spritzte ich mir Hormone in den Bauch,
damit möglichst viele Eizellen gleichzeitig reiften. Ich fühlte mich immer mehr
wie eine schwangere Kuh und war erleichtert, als der Tag der Entnahme kam und
ich meine Keimzellen endlich in Sicherheit bringen konnte. Unter Vollnarkose
wurden sie aus meinen Eierstöcken herausgeschnitten, gezählt und eingefroren.
Nachdem ich erwacht war, durfte ich mir auf einer Speisekarte noch ein
Frühstück aussuchen, das mir die Praxis spendierte. Für Medikamente, OP und die
Untersuchungen zahlte ich insgesamt 5.000 Euro.

Ich
bin eine von den 15.000 Menschen zwischen 18 und 39 Jahren, die jährlich in
Deutschland an Krebs erkranken.
Mehr als 80 Prozent von uns jungen Krebserkrankten werden, je nach
Krebsart und Stadium, langfristig geheilt und haben eine Zukunft, die sie
planen und gestalten möchten.
Dazu gehört auch die Entscheidung für oder gegen eigene biologische Kinder.

Ich hatte Glück: Bei mir wurden viele Eizellen entnommen und eingefroren. Deshalb stehen meine Chancen wahrscheinlich gut, dass ich später mithilfe einer künstlichen Befruchtung Kinder bekommen kann. Ich
kenne viele Krebspatient*innen, die keine Zeit mehr dafür hatten, weil ihre
Chemotherapie so schnell wie möglich beginnen musste. Manche von ihnen stehen
nun mit Anfang 20 ohne Absicherung durch eingefrorene Eizellen in den Wechseljahren. Andere wussten
nicht, dass sie unfruchtbar werden können, und sorgten nicht vor, weil ihre
Ärzt*innen sie nicht über das Risiko aufgeklärt hatten. Wieder andere spritzten
sich, so wie ich, Hormone in den Bauch, doch ihre Eizellen blieben zu klein
oder gingen bei der Entnahme kaputt.

Nicht wenige scheitern allein an den hohen
Kosten. Diese fallen nicht nur direkt bei der Behandlung an, sondern werden
durch eine regelmäßige Zahlung für die Lagerung ergänzt. Jährlich summieren die
sich auf etwa 300 Euro. Ich selbst weiß nicht, wie ich die vierstellige Summe
damals ohne die Hilfe meiner spendablen Tanten und Onkel hätte aufbringen
sollen.

Hits: 105