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Ungarn: Gnadenlos günstig

“Genug
ist genug”, twitterte Jean-Claude Juncker Anfang der Woche
a
ngesichts der jüngsten antieuropäischen Kampagne der ungarischen
Regierung. Er wehrt sich gegen die Plakate, die im Februar an jede Straßenecke in Ungarn aufgestellt wurden. Auf ihnen ist der EU-Kommissionspräsident zu sehen, im Hintergrund grüßt US-Milliardär und Mäzen George Soros. Die Botschaft: “Auch Sie haben das
Recht zu wissen, was Brüssel vorhat”. Gemeint ist die angebliche
Unterminierung der Nationalstaaten Europas durch die Aufnahme von
immer mehr “Migranten aus fremden Kulturkreisen”.

Solche
nationalistischen und antisemitischen Verschwörungstheorien gehören
seit dem ersten Wahlsieg der rechtspopulistischen
Regierungspartei Fidesz 2010 praktisch zum Alltag. Jetzt reicht es führenden EU-Politikern: Ende März könnte
die Fidesz aus den Reihen der Europäischen Volkspartei
(EVP)
ausgeschlossen werden. Liberal gesinnte
Staatschefs wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron meiden Ungarn
schon seit Jahren. Auch der CSU-Politiker und EVP-Spitzenkandidat
Manfred Weber distanzierte sich jetzt deutlich von Orbáns
Hassparolen.

Die Politik reagiert. Doch
für viele europäische Konzerne, vor allem aus Deutschland, bleibt
Ungarn ein beliebter Standort. So kündigte vergangene Woche der Autozulieferer
Bosch an, sein Werk in der nordostungarischen
Stadt Hatvan massiv erweitern zu wollen. Dort sollen ab 2020 elektronische Komponente produziert werden,
die autonomes Fahren ermöglichen. Bei der Investition in Höhe von
insgesamt rund 30 Millionen Euro beteiligt sich die Regierung in
Budapest mit knapp vier Millionen. Der Standort Ungarn biete die
“EU-weit niedrigsten Unternehmenssteuern”, betonte Außen- und
Außenhandelsminister Péter Szijjártó auf einer Pressekonferenz mit
dem Bosch-Management. Tatsächlich liegt die Körperschaftssteuer in Ungarn im Schnitt
bei zehn Prozent, oft sogar niedriger.

Noch
ehrgeiziger sind die Pläne von BMW: Der Konzern gab Mitte vergangenen
Jahres bekannt, ein neues Werk in Debrecen nahe der rumänischen
Grenze eröffnen zu wollen, bis 2023 soll es fertig sein. Hier sollen gut tausend
Beschäftigte arbeiten und jährlich rund 150.000 traditionelle sowie
Elektroautos herstellen. Das Gesamtvolumen der Investition beträgt
gut eine Milliarde Euro, auch dieses Vorhaben wird durch den
ungarischen Staat und die Kommunalbehörden unterstützt, die mehr als
500 Millionen für den dazu erforderlichen Ausbau der
Straßeninfrastruktur und ähnliche Projekte ausgeben wollen. Die
neue Fabrik wird nach dem Mercedes-Werk in Kecskemét, dem Audi-Werk
in Győr und dem Opel-Betrieb in Szentgotthárd der vierte Hauptstandort der europäischen Automobilindustrie in Ungarn sein.

Die Konzerne kommen, die Fachkräfte sind weg

Es sind
aber nicht nur die direkten und indirekten Subventionen oder die
geringen Unternehmenssteuern, die Ungarn bei den deutschen Investoren
beliebt machen. Auch die geografische Nähe zu Deutschland spiele
eine Rolle, ebenso wie die Anwesenheit vieler Zulieferer und dass es
viele hochqualifizierte Fachkräfte in Ungarn gebe, erklärt András Salgó, Kommunikationsleiter bei BMW-Ungarn. 

Doch Letztere werden zunehmend rar. Das Land sieht sich in den vergangenen
Jahren mit einem zunehmenden Fachkräftemangel konfrontiert, der viel
drastischer als in Deutschland ausfällt. Seit der Wirtschaftskrise
2009 haben mindestens 600.000 Ungarinnen und Ungarn
ihre Heimat verlassen, um vor allem in Großbritannien, Deutschland
und Österreich Jobs zu suchen.

Die Arbeitsbedingungen machen Ungarn zwar als Standort bei den
Investoren beliebt, aber sie führen auch dazu, dass Fachkräfte
abwandern. Der europäischen Statistikbehörde Eurostat
zufolge kostete eine durchschnittliche Arbeitsstunde in Ungarn
2017 nur etwas mehr als neun Euro brutto, inklusive Sozialabgaben. In Deutschland kostet sie rund 34 Euro. Zugleich ziehen die Lebenshaltungskosten besonders
in den Großstädten in Ungarn an und sind mancherorts bereits
durchaus mit denen in Deutschland vergleichbar.

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