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Brexit: Man wird ja wohl noch mal fragen dürfen

Es bleiben nur noch drei Wochen, bis Großbritannien nach bisherigem Plan am 29. März die EU verlässt. Auf welche Art und Weise, ist immer noch völlig offen. Für keine der verbleibenden Alternativen gibt es im Parlament eine Mehrheit. Der von Theresa May mit der EU ausgehandelte Kompromiss ist im Januar im Unterhaus krachend durchgefallen. Eine zweite Abstimmung mit einem möglicherweise leicht geänderten Backstop, der Notlösung für die nordirische Grenze, wird am Dienstag wahrscheinlich erneut keine Mehrheit finden. Wäre ein zweites Referendum eine Möglichkeit, diese ausweglose Situation zu beenden und zu einer Lösung zu kommen?

Pro Referendum:

Die Gegner eines zweiten Referendums verwechseln Ursache und
Wirkung. Die Briten erneut zum Brexit zu befragen, würde das Vertrauen
in die Demokratie nicht mehr erschüttern, als es ohnehin schon erschüttert ist. Das
Verhältnis zwischen wählendem Bürger und gewähltem Politiker hat in
Großbritannien längst tiefe Risse.

Eine Kampagne voller – vorsichtig formuliert – Halbwahrheiten hat
im Juni 2016 erheblich dazu beigetragen
, dass die Befürworter eines
EU-Austritts knapp gewonnen haben. Rund drei Jahre später ist immer noch
unklar, wie der Brexit nun umgesetzt werden soll. Die Komplexität des
Unterfangens ist ein Grund, ein anderer ist die Unfähigkeit des
Parlaments und der Regierung, Machtfragen beiseitezuschieben
und sich
parteiübergreifend zu verständigen, kurz gesagt: im Sinne der Bürger an
einer Lösung zu arbeiten.

Was sich Woche für Woche im britischen Unterhaus abspielt, hat der
Demokratie mehr geschadet, als es ein zweites Referendum jemals könnte.
Richtig wäre es gewesen, schon 2016 einen zweiten Volksentscheid
anzukündigen
. Nach dem Motto: Wir wissen heute noch nicht, wie ein
Brexit aussehen könnte, aber wenn wir es wissen, fragen wir euch noch
einmal.

Leider ist das nicht passiert. Die Briten heute erneut zu fragen,
könnte trotzdem dazu beitragen, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Allerdings darf es nicht nur darum gehen, zu versuchen, eine vermeintlich falsche
Entscheidung (den Brexit) rückgängig zu machen, wie es Gegner eines
zweiten Referendums behaupten und einige Befürworter wollen. Das wäre es in der
Tat schädlich für die Demokratie. Dem Bürger sollte vielmehr die
Möglichkeit gegeben werden, eine fundierte, auf Fakten basierte
Entscheidung zu treffen, was 2016 nicht möglich war. Den Briten könnten
beispielsweise drei Alternativen zur Wahl gestellt werden: der von Theresa May
ausgehandelte Kompromiss
, ein Austritt ohne Abkommen und ein
Verbleib in der EU. Es gibt diverse Vorschläge wie ein solcher Volksentscheid funktionieren könnte.

Die tiefe Spaltung der britischen Gesellschaft wird ohnehin fortbestehen – mit oder ohne zweitem Referendum. Sie allein entlang der
Austrittsfrage zu definieren greift auch zu kurz. Es war die Regierung
in London, die die wachsenden Gräben in der Gesellschaft nicht nur
ignoriert, sondern sogar befördert hat. Sie hat zugesehen, wie der
Norden Englands abgewirtschaftet hat, ohne dem genug entgegenzusetzen.
Sie hat zu wenig gegen die zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft
unternommen. Niemand in Brüssel hat der Regierung in London
vorgeschrieben, zehn Jahre lang eine harte Austeritätspolitik zu verfolgen,
die vor allem die armen Regionen in Großbritannien traf.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Briten in einem zweiten
Volksentscheid trotzdem erneut für den Austritt votieren würden. Dann wäre der Brexit
aber keine inhaltsleere, populistische Phrase mehr, sondern ein klar vorgezeichneter Weg raus aus der Europäischen Union – mit mehr
oder minder großen Folgen für den Wohlstand im Land. Die Politik bekäme eine konkrete Handlungsanweisung und müsste sich einen anderen Sündenbock für die Probleme im Land
suchen.

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