/“American Gods”: Die Götter sind nüchtern geworden

“American Gods”: Die Götter sind nüchtern geworden

Neil Gaiman, Schöpfer des
Romans American
Gods
, hat einmal gesagt, viele seiner
Leser hätten
geglaubt, er habe das House on the Rock
erfunden. Dabei gebe es dieses
wirklich – was stimmt und auch nicht stimmt. Das House on the Rock
ist eine Touristenattraktion entlang der
Route 23 nahe Spring Green im Süden
Wisconsins. Besonders real
ist das Gebäude
trotzdem nicht. Es besteht, obwohl im Stil Frank Lloyd Wrights
gebaut, aus einer Überdosis Americana, Gaukelei und Fakes. Eine
amerikanische Phantasmagorie, irgendwo zwischen Kitsch und
Wallfahrtsort, übervoll mit Antiquitäten, die keine sind, mit
Nachbildungen von Dingen, zu denen es kein Original gibt, mit
Maschinen, die halb funktionieren, halb Attrappen sind.

Zu
Beginn der neuen Staffel der Serie American
Gods
kommen die alten Götter im House
on the Rock zum Konklave zusammen. Eine bessere Einführung hätte
Gaiman, der auch für diese erste Folge als einer von zwei Drehbuchschreibern fungierte, nicht erfinden können: zurück in den phantasmagorischen,
kaleidoskopischen,
blutrünstigen
Serienkosmos.

American
Gods
handelt vom Konflikt der alten
Götter, die aus Afrika, aus Osteuropa, aus Asien nach Amerika
gekommen sind und denen unter dem Ansturm moderner amerikanischer
Ersatzreligionen,
Fernsehsitcoms, dem Hollywoodstarkult
und den sozialen Netzwerken, die Gläubigen davonlaufen. In der
ersten Staffel gerieten Shadow Moon (Ricky Whittle), gerade aus dem
Gefängnis entlassen, und seine tote, dennoch
sehr mobile und äußerst scharfzüngige
Frau Laura (Emily Browning) in einen dräuenden Konflikt. Mr.
Wednesday (Ian McShane), das
Alias des Gottes Odin, ein Hochstapler mit Glasauge, hatte
Götter und Fabelwesen um sich geschart und
auf eine finale Schlacht eingeschworen.
Auf der anderen Seite standen die Götter der Neuzeit, denen wir, wie
einer von ihnen sagt, “das
Penicillin verdanken, Pornostreams und Flugzeugträger”.

Zu
ihrem Start 2017 erzählte American
Gods
viel über Amerika, seinen
Glauben und seine Medien und
dachte inmitten
der Debatte über Fake-News und “alternative
Fakten” über
amerikanische Trickserei und Glauben nach. Die Serie handelte
von
Anachronismus und Nostalgie und sie erzählt
auch in ihrer Fortsetzung
von “vergessenen
Göttern in einem Land ohne Götter”. Jetzt,
im März 2019, kommt sie selbst
als eine Art Anachronismus daher.

Die
erste Staffel endete
im Frühsommer 2017 mitten
in der Handlung. Dann sprangen die Serienschöpfer Bryan Fuller und
Michael Green ab – angeblich, weil das Budget zu stark gekürzt
worden war. Dann verließ einer der
Stars, Gillian Anderson (Akte
X
, Sex
Education
), das Projekt.
Ein neuer Showrunner kam und ging, die zweite Staffel wurde von zehn
auf acht Episoden verkürzt. Gerüchte über
irritierte Schauspieler und behelfsmäßig improvisierte Dialoge
drangen nach außen.

Die Fortsetzung ist dann
am besten, wenn
sie aus ihren offensichtlichen
Nöten eine Tugend macht. Wie ein Loungesänger in irgendeinem
miesen Highwaycasino, der besoffen aus der Pause kommt und dann doch
sofort wieder routiniert den nächsten Song anstimmt, findet die
Serie schnell wieder
ihren Groove. Mit
taschenspielerischer Effizienz und Gewandtheit stellt
sie die Besetzung ihres
bizarren
Pantheons vor:
Wednesday, der
Leprechaun Mad Sweeney (Pablo Schreiber), Czorneboh (Peter Stormare),
die Königin von
Saba (Yetide Badaki) bis hin zur ghanaischen
Gottheit Anansi (Orlando Jones). Das Problem
fängt da an, wo American
Gods
meint, alles noch mal erklären
zu müssen. In gewissen Passagen wirkt die Serie, die vor zwei Jahren
mit solch magnetischer Überzeugungskraft ihre hanebüchene Welt
vorstellte, wie ein Hochstapler, der sich seiner Sache plötzlich
unsicher geworden ist.

Die
visuell wuchtigen Vignetten, die außerhalb der Haupthandlung die
Welt der Götter beleuchtet und von Sklavenschiffen, Wikingern und
längst vergessenen Schlachten erzählt
hatten, scheint
es nicht mehr zu geben – zumindest
nicht in den beiden Episoden, die vorab zu sehen waren.
Stattdessen sieht man
klassische Autos, Motels, schmierige Diners, Pilgerstätten entlang
der Highways. Mit ihrer wesenhaften Mischung aus Heilsversprechen
und Lebenslüge antworten sie, genauso wie Bethäuser, dem “Ruf
des transzendenten Nichts”, wie Odin sagt. So
lächerlich und erhaben wie jeder Tempel.

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