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Algerien: Ein erster Etappensieg für Algeriens Demonstranten

Drei Wochen Massenproteste haben in Algeriens
politischem Machtgefüge ein Erdbeben ausgelöst. Am Abend ließ der 82-jährige schwerkranke Präsident Abdelaziz
Bouteflika
über die Staatsmedien verkünden, er trete nicht mehr für
eine fünfte Amtszeit an.
“Algerien geht durch eine sensible Phase
seiner Geschichte”, hieß es in dem Kommuniqué, welches an die
“lieben Mitbürgerinnen und lieben Mitbürger” adressiert war. Der ungeliebte Premierminister Ahmed Ouyahia reichte daraufhin seinen
Rücktritt ein. Die Macht übernehmen soll “eine Regierung
der nationalen Kompetenz”, als deren Chef Präsident Bouteflika noch am Abend
den bisherigen Innenminister Noureddine Bedoui nominierte.

Zehntausende Demonstranten, die seit Mitte Februar Bouteflikas Rückzug sowie tiefgreifende Reformen des politischen Systems und
eine Novellierung der Verfassung gefordert hatten, feierten in Algier
und vielen anderen Städten die Nachricht als ersten politischen
Etappensieg. Hupende Autokorsos kreuzten durch die nächtlichen
Straßen.

Die
ursprünglich für den 18. April festgesetzte Wahl wird auf
unbestimmte Zeit verschoben, meldete die staatliche
Nachrichtenagentur APS. Gleichzeitig soll bis Ende 2019 eine
Nationale Konferenz, an der alle politischen und gesellschaftlichen
Gruppen beteiligt sind, die Verfassung überarbeiten und das Ergebnis
dem Volk für ein Referendum vorlegen. Erst nach diesem “Prozess
der Transformation unseres Staatswesens” sollen die nächsten
Präsidentenwahlen stattfinden – also im kommenden Jahr, hieß
es in dem Sieben-Punkte-Plan des Präsidentenpalastes. Bouteflika
selbst will bis zu diesem Zeitpunkt im Amt bleiben und den von ihm
skizzierten Reformprozess überwachen.

Er
erkenne ausdrücklich den friedlichen Charakter der Kundgebungen an,
schrieb der greise Präsident und räumte ein, Algerien brauche
tiefgreifende Reformen in den Bereichen Politik, Institutionen,
Wirtschaft und Soziales. An dieser Erneuerung der Nation müssten
weitaus mehr Gruppen der Gesellschaft als bisher beteiligt werden,
vor allem die Frauen und die jungen Leute.

Bouteflika beendete den algerischen Bürgerkrieg

Bouteflika
war erst am Sonntagabend nach einem zweiwöchigen Klinikaufenthalt in
Genf nach Algier zurückgekehrt und hatte sich am Montagvormittag im
engsten Kreis mit Armeechef Ahmed Gaid Salah, dem ehemaligen
UN-Syrienvermittler Lakhdar Brahimi, Premierminister Ahmed Ouyahia
sowie dem ehemaligen Außenminister Ramtane Lamamra beraten. Der
82-Jährige leidet offenbar zunehmend an Atembeschwerden. Seit einem
Schlaganfall im Jahr 2013 sitzt er im Rollstuhl, kann nicht mehr aus
eigener Kraft gehen und hat Probleme mit der Artikulation. Seine
letzte öffentliche Rede hielt er 2012, seitdem lebte er
zurückgezogen und für die Bevölkerung nahezu unsichtbar in seinem
Präsidentenpalais.

Bouteflika
kam 1999 an die Macht und war damit der am längsten amtierende
Präsident Algeriens seit der Unabhängigkeit 1962. Sein größter
Verdienst ist die Beendigung des Bürgerkrieges, erwirkt durch eine
Generalamnestie und besiegelt durch zwei Referenden zur “nationalen
Versöhnung”. Die Schatten der Massaker jedoch, die in den “dunklen
Jahren” von 1992 bis 2000 in etwa 200.000 Menschen das Leben
kosteten, sind bis heute als nationales Trauma gegenwärtig.

Gleichzeitig erreichten in den letzten beiden Jahrzehnten Korruption
und Verschwendung öffentlicher Mittel in dem nach außen
abgeschottetem Land immer extremere Ausmaße – Missstände, die bis in
den innersten Zirkel des Präsidenten reichen. Vor allem die Jungen
unter dreißig, die 22 der 42 Millionen Einwohner ausmachen, leiden
unter fehlenden Arbeitsplätzen, Wohnungen und Lebensperspektiven.
Der nationale Haushalt Algeriens speist sich nahezu ausschließlich
aus den Öl- und Gasmilliarden. Eine nennenswerte nationale Industrie
existiert nicht, weil mächtige Importbarone dies blockieren, um ihre
Pfründe zu schützen.

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