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Rechtsextremismus: Der Kampf um Bautzen

Ohne ihren Twitter-Account, da ist Annalena Schmidt sich sicher, wäre ihr
Leben anders verlaufen. “Ich säße jetzt wahrscheinlich in irgendeiner anderen Stadt”, sagt
sie. Stattdessen lebt Schmidt, 32 Jahre alt, in Hessen geboren, immer noch in Bautzen. Dort,
wohin es sie 2016 eher zufällig verschlug, weil sie eine Stelle als Historikerin am Sorbischen
Institut angenommen hatte. Und dort, wo sie es zu einer regelrechten Berühmtheit brachte. Als
Aktivistin, als Gegenstimme.

Bautzen ist eine polarisierte Stadt. Schon vor anderthalb Jahren, als sich Flüchtlinge und einheimische Jugendliche im Stadtzentrum prügelten, als es regelrechte Jagdszenen auf offener Straße gab, diskutierte Deutschland über Bautzen. Damals bereits wurde Annalena Schmidt immer wieder zitiert; in Zeitungen, im Fernsehen. Als diejenige, die den Kampf gegen Rechtsaußen anführt. Ihre Rolle, auch für überregionale Medien, ist die einer Polit-Aktivistin. Für viele, gerade außerhalb Bautzens, ist Schmidt Vorbild und Mutbürgerin. Eine, die den Scheinwerfer auf rechtsextreme Gefahren richtet.

Im Internet, auf Twitter, verbreitet Annalena Schmidt, was sie in Bautzen erlebt. Das ist kein Stoff für Marketingbroschüren, wie der tolle Senf von hier oder die hübschen Türme der Altstadt. Schmidt schreibt stattdessen über Rechtsextremismus, über politische Kampflagen und Unruhen, die sie im Alltag entdeckt. Es gibt Leute, die sagen: Das Bild von Bautzen, das Schmidt zeichne, sei übertrieben finster, dystopisch, beinahe gemein. Bautzen sei doch nicht nur eine rechte Hochburg! Die Stadt sei doch so viel mehr! Warum müsse ausgerechnet eine Zugereiste die Lage in Bautzen madigreden?

Rechtsextremismus: Annalena Schmidt kam aus Hessen in die Stadt. Und wurde hier zu einer Aktivistin.

Annalena Schmidt kam aus Hessen in die Stadt. Und wurde hier zu einer Aktivistin.
© Jonas Ludwig Walter/Agentur Focus

Die Frage ist also, ob Annalena Schmidt übertreibt. Oder ob ihre Kritiker verharmlosen, wie es in Bautzen zugeht. Steht die Stadt zu Recht ständig im Fokus?

Tatsächlich reflektiert Annalena Schmidt ihre Rolle selbst mehr, als viele glauben mögen. Sie fühlt sich – das merkt, wer länger mit ihr spricht – auch nicht nur wohl damit, in Bautzen diejenige zu sein, die die Verhältnisse anprangert.

Es war eine Nacht im September 2016, in der Annalena Schmidt auf Twitter zu @schmanle wurde. Schmidt steckte in dieser Nacht selbst mitten in der Eskalation, die später die Republik beschäftigen sollte: Auf dem Kornmarkt hatten sich Rechtsradikale mit Asylbewerbern geprügelt, auch später blieb unklar, wer mit dem Streit eigentlich begonnen hatte. Am Ende jagten die Rechtsextremen die Ausländer durch die Straßen. Auch Annalena Schmidt flüchtete vor den randalierenden Deutschen. “Fassungslos, was in Bautzen ablief”, twitterte sie. Ihre Empörung verteilte sich rasch im Netz. An jenem Abend stand “neben der realen auch die digitale Welt Kopf”, notierte sie später.

Ihre Reichweite hat sich seither um ein Vielfaches verstärkt. Sie hat derzeit fast 6500 Follower, darunter viele Multiplikatoren, Journalisten und Politiker. Während ihres Studium hat sie auch einige Lektionen Journalismus gelernt. Sie sagt, dass ihr klar sei, dass viele Journalisten “dann besonders reagieren, wenn sie denken, dass etwas gut zum Bild von Bautzen oder Sachsen passt”. Also zum Beispiel jetzt.

Gerade, im Winter 2019, bekommt Schmidt so viele Presseanfragen wie noch nie. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) schrieb ihr vor einigen Tagen eine Facebook-Nachricht, ob sie mal telefonieren wolle. Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) dankte ihr für ihren Einsatz.

Denn die Bautzner Polarisierung ist wieder zum großen Thema geworden. Und Annalena Schmidt ist wieder mittendrin.

Das liegt an einem Abend Anfang Februar. Eigentlich sollte es da in einer Bautzner Kirche “Zurück zur Sachlichkeit” gehen. Genau so ist eine Podiumsdebatte überschrieben: Die Runde ist eine Idee des Oberbürgermeisters, der Versöhnung stiften will. Er hat zwei Menschen auf die Bühne gebeten, die für die beiden Enden des Bautzner Diskurses stehen: Annalena Schmidt und den Bauunternehmer Jörg Drews.

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