/Frauen in der Wissenschaft: Wir können keinen Schaum schlagen

Frauen in der Wissenschaft: Wir können keinen Schaum schlagen

Die Wissenschaftsmoderatorin Mai Thi Nguyen-Kim dachte, dass das Geschlecht im Labor egal sei. Hier schildert sie, wie sie eines Besseren belehrt wurde.

Ich hatte gerade mit meiner Doktorarbeit begonnen, als ich ein
Seminarwochenende für Doktorandinnen der Studienstiftung besuchte. Veranstaltungen der
Studienstiftung können anstrengend sein. Viele elitäre Überflieger und Alphapersönchen mit
Profilierungsdrang auf einem Haufen. Doch diese Veranstaltung war meine erste, zu der
ausschließlich Frauen eingeladen waren. Und sie war augenöffnend.

Damals trug ich noch das Vorurteil mit mir herum, dass man fremde Frauen nicht zusammenpferchen sollte, weil sonst
catfights
ausbrechen. Entsprechend skeptisch ließ ich das Wochenende auf mich zukommen. Doch die Stimmung vor Ort war angenehm, entspannt, ja sogar vertraut.
“Safe space”
war der Ausdruck, der mir in den Sinn kam und den ich schon so oft gehört hatte, ohne damit etwas anfangen zu können.

Die meisten Teilnehmerinnen befanden sich in der letzten Phase ihrer Doktorarbeit. Es war ein Karriereseminar, in dem wir unsere individuellen Stärken herausfinden sollten und dabei viel Persönliches offenbarten. Nach zwei Tagen kannten mich die anderen besser als die meisten meiner Kollegen, die ich täglich im Labor sah. Am letzten Abend saßen wir bis vier Uhr morgens zusammen, tranken Wein und redeten. Irgendwann fiel das Wort “Schaumschläger-Syndrom”. Ich hatte noch nie davon gehört, doch die anderen Frauen in der Runde nickten eifrig über ihren Weingläsern und sagten Sätze wie “Ich weiß genau, wie du dich fühlst” oder “Das kennt doch jeder, oder?”.

Ich fragte: “Was ist das Schaumschläger-Syndrom?”

Die anderen dachten, dass ich nur den Begriff nicht kenne – das Gefühl mir aber wohlvertraut sei. Dieser Glaube, dass man den eigenen beruflichen Erfolg nicht verdient habe, dass die Kollegen viel kompetenter seien. Das Gefühl, man sei eine Hochstaplerin, eine Schaumschlägerin, und die Angst, jeden Moment aufzufliegen.
Impostor syndrome
heißt es im Englischen.

Ich schaute mit großen Augen in die Runde und fragte: “So fühlt ihr euch?!” Und rund fünfzehn beeindruckende Frauen, die ich als intelligente, kompetente und selbstbewusste Menschen kennengelernt hatte, denen die Welt offenstand, wenn nicht sogar zu Füßen lag, schauten mit großen Augen zurück und fragten: “Du etwa nicht?”

Nein. Und ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schlimm so ein Gefühl sein muss.

Ich hatte schon oft beobachtet, dass Frauen ihr Licht unter den Scheffel stellen und sich schlechtreden. “Ich bin bestimmt durchgefallen”, jammerte mir so manche Kommilitonin vor, bevor sie die Klausur mit Bestnote zurückbekam. Oder: “Oh Gott, mein Vortrag wird so peinlich, mein Englisch ist so schlecht.” Bevor ein perfekter Vortrag präsentiert wurde. Ich hielt solche Aussagen für nerviges
fishing for compliments
oder den misslungenen Versuch, sich durch übertriebene Bescheidenheit beliebt zu machen. Doch jetzt saß ich in dieser vertrauten, beschwipsten Runde, zwischen diesen wundervollen Frauen, die ich nun gut genug kannte, um zu verstehen: Sie fühlten sich wirklich so.

Wohlgemerkt, es waren Überfliegerinnen, wahnsinnig erfolgreiche Frauen, so erfolgreich, dass ihre Lebensläufe schon fast unsympathisch klangen. Wenn diese Frauen nicht selbstbewusst durchs Leben schreiten – wer dann? Das legt einen traurigen Verdacht nahe, nämlich dass viele Frauen, die kompetent, intelligent und talentiert sind, aber keine absoluten Überfliegerinnen, tolle Karrierechancen erst gar nicht wahrnehmen, weil sie sich fehl am Platz fühlen. Springen deshalb mit jeder höheren Karrierestufe immer mehr Frauen ab? Entscheiden sich deshalb Frauen viel häufiger für niedriger bezahlte Berufe? Plausibel wäre es.

Im Laufe meiner Doktorarbeit verstand ich immer besser, warum Feminismus in Deutschland noch notwendig ist. Ich brauchte etwas länger, um das einzusehen, weil ich vorher nicht wirklich mit Sexismus in Berührung kam. Vielleicht brauchte ich auch länger, weil ich Vietnamesin bin oder zumindest das Kind von Eltern, die ihre Heimat verließen und alles opferten, um meinem Bruder und mir ein privilegiertes Leben aufzubauen. Sie hatten es nicht leicht, aber sie haben nie gejammert oder sich beschwert. Wenn man so aufwächst, ist man dazu verführt, manche Probleme als Luxusprobleme zu belächeln. Außerdem verbrachte ich meine Kindheit in einer kleinen Stadt und studierte im beschaulichen Mainz Chemie. Ein Werdegang, bei dem man von Genderdiskussionen nicht viel mitkriegt, vor allem nicht in einer Zeit, in der Jugendliche das Internet nur sporadisch für StudiVZ nutzten. Das Chemiestudium war hart, ich hatte mit einigen Dingen zu kämpfen, aber Sexismus gehörte nicht dazu. “Ich bin Chemiker”, sagte ich ganz selbstverständlich, wenn mich jemand fragte. Die Endung “-in” bedeutete mir nichts. Das hatte doch nichts mit Chemie zu tun, oder?

Hits: 165