/Spülmaschinen-Rezepte: Kabeljau im Eco-Waschgang

Spülmaschinen-Rezepte: Kabeljau im Eco-Waschgang

Als ich die Klappe meiner
Spülmaschine geschlossen habe, fühle ich mich mit einem Mal
schrecklich machtlos.

Wie immer dauert es ein paar
Sekunden, bis jener dezente Sound aus Brummen und Plätschern
einsetzt, irgendwo hinter der Klappe, im 50 mal 55 mal 60 Zentimeter
großen Kasten in der Mitte meiner Küchenzeile, der in Wahrheit eine
Blackbox ist. Ein System, dessen innere Logik sich Außenstehenden
verschließt.

Zum ersten Mal wird mir klar:
Ich habe keine Ahnung, wie meine Spülmaschine funktioniert. Es hat
mich nie interessiert. Solange meine Messer, Tassen und Teller sauber
wurden, war mir der Rest egal. Doch heute liegt die Sache –
delikater.

In der oberen Schublade der
Maschine stehen an diesem Samstagnachmittag neben schmutzigem
Geschirr auch 14 Schraubgläser, gefüllt mit Spinat, Winterkabeljau,
Möhren, Paprika, Tofu, Rindfleisch, Zwiebeln, Bohnen, Ingwer,
Knoblauch, Sojasauce, Olivenöl, Bulgur, Brühe, Kräutern, Gewürzen,
Linsen und Brokkoli – in unterschiedlichen Kombinationen. Ich bin
dabei, Essen in der Spülmaschine zu garen. Ich hoffe es jedenfalls.

In drei Stunden kommen die
Gäste. Doch der Zeitplan ist heute ausnahmsweise nicht mein Problem.
Dass der Spülgang “Automatik” zwei Stunden und 45 Minuten dauern
wird, verrät mir die Digitalanzeige in der Klappe der Spülmaschine.
Auch dass es in deren Innerem währenddessen zwischen 45 und 65 Grad
heiß werden wird, steht da. Nur: Mehr weiß ich nicht. Weder praktisch noch aus küchenwissenschaftlicher
Sicht.

Fest zudrehen, schon können die Schraubgläser in die Spülmaschine.
© Ferdinand Dyck

Garen, so formuliert es Harold
McGee in On Food And Cooking, einem Meisterwerk der chemischen und physikalischen Grundlagen des
Kochens, könne man grob definieren als “die Umwandlung eines rohen
Lebensmittels in einen anderen Zustand”. In der Regel gare man, so
McGee, indem man Hitze in ein Lebensmittel leite. Die Moleküle
innerhalb des Lebensmittels kämen dadurch in Bewegung, stießen
gegeneinander, reagierten miteinander und bildeten so neue Strukturen
(beeinflusst Genießbarkeit, Konsistenz und Textur) und Aromen
(beeinflusst den Geschmack). Dann folgt ein Satz, der meine Existenz
als Hobbykoch infrage stellt: “Eines der Geheimnisse erfolgreichen
Garens liegt darin, zu wissen, wie ein bestimmtes Lebensmittel
erhitzt werden muss.”

Ich stehe seit gut 15 Jahren
alle paar Tage am Herd. Aber natürlich weiß
ich nicht, wie ein
Lebensmittel erhitzt werden muss.
Ich habe in all der Zeit bloß gelernt, was in der Regel
funktioniert: Spaghetti neun Minuten in kochendes Wasser – check.
Zwiebeln in die Pfanne, bis sie schön glasig sind – easy.

Doch schon beim mittelweichen
Frühstücksei fängt das Drama ja in Wahrheit an. Sechs Minuten oder
doch fünfeinhalb? Und wenn das Ei recht klein ist, was dann? Wie
werden beim Huhn im Ofen Keule und Brust gleich saftig? Wie erreichen
wir die nukleare Abrüstung? Mir sind die Antworten nicht bekannt.

Es gebe leider keine Methode,
wissenschaftlich verlässlich vorherzusagen, wie schnell Wärme sich
von der Oberfläche eines Lebensmittels ins Zentrum ausbreitet,
schreibt Harold McGee, der Küchenwissenschaftler. Am sichersten sei
es daher, den Gargrad häufig zu überprüfen. Ich denke an die
verschlossene Klappe meiner Spülmaschine, an die fest verschraubten
Weckgläser dahinter und erkenne zum ersten Mal McGees humoristisches
Talent.

Dann eben andersrum.

Im Internet finde ich die
Gebrauchsanweisung meiner Spülmaschine. Ich lerne, dass edlere
Ausführungen meines Modells über eine Innenraumbeleuchtung
verfügen, was sicher nicht schadet, sonst erfahre ich nichts,
jedenfalls nichts Neues: Okay, beim Automatikprogramm wird es wohl
tatsächlich zwischen 45 und 65 Grad heiß. Wann, wodurch und wie
lange, erfahre ich nicht. Der Programmablauf werde “entsprechend
der Verschmutzung mithilfe der Sensorik optimiert”.

Erst als ich einen
Beitrag der Sendung mit der Maus

streame, begreife ich das System Spülmaschine. Ich lerne eine Menge.
Zum Beispiel, dass ich dringend Salz nachfüllen muss. Und dass die
rotierenden Arme am Boden und in der Mitte von Spülmaschinen aus
ihren vielen kleinen Löchern mit hohem Druck Wasser aufs schmutzige
Geschirr schießen. Dieses Wasser, das im Filter am Boden immer wieder gesiebt wird, ist während des ersten Spülgangs 45 Grad warm, dabei wird grober Schmutz entfernt. Beim zweiten Gang, wenn das
Spülmittel zum Einsatz kommt, ist es 65 Grad heiß. Beim
dritten, dem Klarspülgang, hat es wieder 45 Grad. Mehr Hitze ist
nicht in der Blackbox. Außerdem stehen meine Gargläser zu keinem
Zeitpunkt im heißen Wasser, sie werden ja bloß damit besprüht. Ob
das reicht?

Um 16 Uhr kommen die Gäste, die
Digitalanzeige hat noch 15 Minuten auf der Uhr, aber nun trocknet das
Geschirr bloß noch: In der Restwärme des Innenraums verdunstet das
Wasser von Tellern und Gläsern. Meinem Brokkoli wird das nun auch
nicht mehr helfen, denke ich, hole die Schraubgläser eines nach
dem anderen zurück ans Licht und richte die Ergebnisse von 150 Minuten
“Automatik” auf meinen schönsten tiefen Tellern an.

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