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Pflege: Sie war so stolz

Meine Mutter ist 83 Jahre alt, für uns Kinder war sie immer die Powerfrau, die alles schaffen kann. Vor zwei Jahren hatte sie einen schweren Schlaganfall. Zu beobachten, dass unsere Mutter jedes Jahr etwas von ihrer Selbstständigkeit verlor, verursachte bei mir und meiner Schwester ein Gefühl der Hilflosigkeit. Ich habe einige Zeit gebraucht, um zu begreifen, dass das jetzt die Realität ist. 

Niemals durften wir ihr helfen, sie war so stolz. Darauf, dass sie im Iran die erste Frau in ihrem Viertel war, die gegen den Willen ihrer Familie einen Meisterbrief als Frisörin erworben und sich selbständig gemacht hat. So war sie von niemandem abhängig und hat immer gegen die Männergesellschaft des Iran gekämpft.

Ich erinnere mich noch an unser erstes Gespräch mit dem Arzt nach dem Schlaganfall. Wir waren sehr froh, dass unsere Mutter überlebt hatte, aber der Arzt sagte, dass sie nicht mehr selbständig leben kann. Meine Schwester ist in die Wohnung unserer Mutter gezogen und hat die Betreuung übernommen. Ich bin drei- bis viermal in der Woche bei ihr, mache die Einkäufe oder übernehme, wenn meine Schwester eine Auszeit braucht. Irgendwie hofften wir, dass sie sich erholt. Aber als sie aus der Reha kam, konnte meine Mutter nicht mehr selbständig gehen und auch beim Essen mussten wir ihr helfen. Wir lernten, damit umzugehen.

Wie selbstverständlich es für uns ist, morgens aufzustehen, uns anziehen und aus dem Haus zu gehen. Für meine Mutter ist das nicht mehr so einfach. Wir geben ihr das Essen, legen sie ins Bett, bürsten ihr die Haare, waschen sie. Sie wurde immer ruhiger und ist in ihre eigene Welt eingetaucht. Wir Kinder haben bemerkt, wie wichtig es ist, in diesen Zeiten bei ihr zu sein und ihr das Gefühl geben, dass sie etwas Besonderes ist.

Diese Bilder zeigen einen Tag im Leben meiner Mutter, ich habe sie für eine Semesterarbeit an der Fotoakademie Köln gemacht. Meine Mutter wollte ausdrücklich, dass sie veröffentlicht werden, damit alle das Leben wertschätzen und es so lange wie möglich genießen und jeden Moment im Leben auskosten. Sie sagt immer, es sei nicht gut, dass es so viele einsame Menschen gibt. Die Liebe zwischen den Menschen sei sehr wertvoll und sorge dafür, dass man sich weniger einsam fühlt. Wir erkennen es selbst nicht, aber irgendwann werden wir alle abhängig sein von denen, die uns nahe stehen.

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