/Gastfreundschaft: Nie wird es reichen. Nicht für mich.

Gastfreundschaft: Nie wird es reichen. Nicht für mich.

Ich lade euch ein –

Während ich noch über
diesen scheinbar unvollständigen Satz einer Freundin nachdachte und mich
fragte, wie er wohl weitergehen würde, lächelte mein Mann bereits und bedankte
sich. Mit einem Mal schien irgendetwas abgemacht.

Alle wandten sich wieder
der Speisekarte zu, und als sie die vielen Variationen weißen Spargels
entdeckte, rief unsere Freundin: Hast du den schon mal gegessen? Sie sah mich
unverwandt an. Nein? Dann bist du noch gar nicht richtig in Deutschland
angekommen.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch “Gastfreundschaft” von Priya Basil. Das Buch erscheint am 11. März. (Insel-Bücherei 1462, Suhrkamp-Verlag, 134 Seiten, 14 Euro)
© Suhrkamp

Wie oft kann man in einem
Land ankommen? Ich habe aufgehört zu zählen. Immer wieder stößt man auf etwas Neues,
immer wieder ist man nicht wirklich da. In meinem Fall gilt das nicht nur für
Deutschland, wo ich inzwischen die längste Zeit meines Erwachsenenlebens verbracht
habe, sondern auch für Großbritannien, dessen Staatsbürgerin ich noch immer
bin, für Kenia, wo ich aufgewachsen bin, und für Indien, das Land meiner
Vorfahren, auch wenn ich dort nie gelebt habe. Bislang bin ich noch nirgendwo
wirklich angekommen. Und vielleicht hat das zum Teil damit zu tun, dass auch
Länder – mit all ihren Gewissheitserklärungen, ihren Lieblingsversionen der
eigenen Geschichte, ihrem Zurschaustellen nationaler Grenzen – keinen festen,
finalen Status haben.

Du musst den Klassiker
nehmen, sagte die Freundin und las vor: Portion (1 Pfund roh &
ungeschält) 1a Beelitzer Spargel mit neuen Kartoffeln, brauner Butter oder
Sauce hollandaise.
Bitte, nur zu. Das geht auf mich. In diesem Moment
verstand ich endlich die Bedeutung ihrer Eingangsbemerkung – ich lade euch ein:
Sie wollte unser gemeinsames Essen bezahlen.

Ich hatte die Speisekarte
vor mir, konnte mich aber nicht darauf konzentrieren, weil ich unschlüssig war,
wie es von hier aus weitergehen würde. Es war, als begreife man mitten im Tanz
schlagartig, dass man einen Teil der Figur ausgelassen hat: die entscheidende
Schrittfolge, mit der Gast und Gastgeber sich umeinander drehen, rechts herum,
links herum, bevor man langsam in die vereinbarte Schlusspose ausschwingt.

Die Inderin in mir – die
nicht nur an wilde Kämpfe im Restaurant gewöhnt ist, wenn es um die Rechnung
geht, sondern auch daran, Gäste mit geradezu unterwürfigem Respekt zu behandeln
– meinte protestieren, standhalten, insistieren zu müssen – kommt nicht infrage, wir laden dich ein! Und um die Einladung annehmen zu können, müsste
ich zunächst die Chance bekommen, sie auszuschlagen, weil anfänglicher
Widerspruch in meiner Familie bedeutet, die Großzügigkeit des anderen zu
würdigen.

Gleichzeitig war die
Britin in mir – die am liebsten überhaupt nicht über Geld nachdenken möchte und
stets hofft, dass irgendwer irgendwann murmelt: Teilen wir die Rechnung? – erleichtert,
ja sogar ein wenig beeindruckt von dieser so entschlossenen Klärung noch vor
dem ersten Bissen. Es wirkte sehr erwachsen, irgendwie typisch deutsch. Während
ich zwischen meinen widerstrebenden Impulsen noch hin- und hergerissen war,
stieg in mir die quälende Frage auf, was genau das Angebot wohl eigentlich bedeutete:
Wäre es in Ordnung, Vorspeise und Nachtisch zu bestellen? Sollte ich ein
billigeres Hauptgericht wählen?

War damit nun geregelt,
dass wir beim nächsten Mal bezahlen würden? Oder war hier ein älteres Tauschmaß
im Spiel, eine lange Kette stillschweigender Übereinkünfte: der vertraute
Umgang mit Soll und Haben, wie in jeder Beziehung, ganz gleich, ob es sich um
eine Beziehung zu einem Menschen oder einem Ort handelt?

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