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Finch Asozial: MC Fit im Schritt

Gerade wieder gemerkt: Nichts finden die Deutschen lustiger
als einen schief angeklebten Schnurrbart, ein falsches Hasenzahngebiss oder
einen blöden Hut. Sketchup und Sketchparade werden zwar schon
seit 25 Jahren nicht mehr gedreht, ihr Humorverständnis vom ulkig verkleideten
Erwachsenen, der durch die Gegend läuft und Nudelteller fallen lässt, ist aber alive
and kicking
. Jüngstes Beispiel: eine beliebige Karnevalssitzung der letzten
Wochen. Zweitjüngstes Beispiel: der Look
des Rappers Finch Asozial aus Fürstenwalde. 

Finch sieht aus wie eine Mischung aus André Agassi in den
Achtzigern und einem Arabella-Kiesbauer-Gast in den Neunzigern. Seine Themen sind
Jogginganzüge aus Polyester, Skibrillen aus Polycarbonat und
Vokuhila-Extensions aus Polyacrylnitril, außerdem Männlichkeit, Sperma, Aids,
bezahlbarer schlechter Alkohol für alle und bezahlbarer schlechter Sex für ihn
selbst. Dazu erklingen Eurodance und Schlagerrefrains, Bollertechno,
Bummsbeats und sonstige Hüttengaudi-Musik. Das Debütalbum von Finch Asozial heißt
Dorfdisko. Gut möglich, dass es nächste Woche “die Charts” “auf der Eins”
“entern” wird. 

Die Erfolgsformel des siebenstellig gestreamten Rappers
basiert jedoch nicht auf diesem Programm, sondern einer vorab vollzogenen
Transferleistung. Der eigentlich stramm bundesrepublikanische Sketchparaden-Humor
gelangt bei Finch Asozial am Körper, im Gesicht und auf dem Kopf eines Klischee-Ossis zu
neuer Blüte. Dieser Typ ist maximal stumpf oder tut wenigstens so. Er trägt
die Uniform eines Brandenburger Hartz-IV-Empfängers, schraubt an seiner
Karre herum, weil ihn keine Frau an sich herumschrauben lässt, säuft sich durch
Diskos, die nach der nächsten Autobahn benannt sind, stopft Kasseler mit
irgendeiner Soße in sich rein und erklärt die eigene Minderwertigkeit zum neuen
Oberstyle. Ha. 

Die schönste Vorstellung über Finch Asozial ist, dass er
jeden Morgen 30 Minuten vor dem Badezimmerspiegel steht und seinen Vokuhila in
Form föhnt. Das ist schon mal eine halbe Stunde des Tages, in der er nicht
rappen kann. Danach geht es abwärts: Finch sinniert in Goldi & Korn über
Zusammenhänge zwischen seinen Lieblingsgetränken und seinem Sexleben, in Heckspoilermucke
über Zusammenhänge zwischen seinem Kleidungsstil und seinem Sexleben und in Diskoaids
über Zusammenhänge zwischen seinem Sexleben und möglicherweise daraus
resultierenden Spätfolgen. Sein größter Hit ist der Song Abfahrt mit
Skigymnastikvideo und acht Millionen YouTube-Zugriffen. 

Trotzdem kurz dazwischengefragt: Wo liegt eigentlich die
Katze, die das noch hinter dem Ofen hervorlocken soll? Und wie voll
beziehungsweise kreuzbieder muss diese Katze sein, um das lustig zu finden
beziehungsweise geschockt davon zu sein? Finch Asozial erklärt sich und das
alles mit seiner Battle-Rap-Vergangenheit. Noch vor Kurzem stand er wöchentlich
auf offenen Bühnen und textete andere Rapper mit besonders geschliffenen
Gemeinheiten ins Trainingslager zurück. Alles war erlaubt, nichts ging zu weit,
und je derber es wurde, desto lauter johlte das Publikum.

Ist gut und soll uns hier nicht weiter interessieren. Denn
Finch Asozial versucht gar nicht erst, dieses Bühnenprogramm auf sein breit
beworbenes Majorlabel-Debüt zu übersetzen. Vielleicht weil das schon bei
Kollegah und Farid Bang echt bombe geklappt hatte. Stattdessen steht Dorfdisko
ganz im Zeichen seiner Ostprollkunstfigur – versieht diese aber nur mit den
vorhersehbarsten und dämlichsten aller denkbaren Eigenschaften. Keine
Gemeinheit erscheint mehr sonderlich geschliffen, wenig ist von jener
Sprachbegabung übrig, die Finch früher in den Dienst besonders stilloser
Beleidigungen gestellt hat. Das beste Beinahreimpaar der Platte lautet “Klimowicz/Fliesentisch”.

Man kann das nicht oft genug betonen: Dorfdisko ist
nicht schlecht, weil es provozieren will, zotige Witze reißt oder vorgibt,
Botschafter einer Lebensrealität zu sein, die möglicherweise nicht der
Lebensrealität von Leuten entspricht, die Texte für das Kulturressort von überregionalen
Wochenzeitungen schreiben. Es ist schlecht, weil es schlecht ist. Mit dem
Anti-Leistungsprinzip-Rap von Kurzurlaub waren Deichkind schon vor fünf
Jahren durch. Aus Eskalation spricht jene Form der alles
entschuldigenden Brachialironie, von der sich selbst K.I.Z inzwischen
verabschiedet haben. Und die Strandparty, auf der Der letzte echte Macho
noch funktionieren würde, muss man auch erst mal finden.

In wunderbarer Sinnbildlichkeit erscheint Dorfdisko
zwei Tage nach Aschermittwoch. Finch Asozial ist schon over, bevor er
richtig angefangen hat. Für Ostdeutschland ist das aber nicht die nächste
Niederlage, sondern ein Gewinn – denn der Assi auf dem Netto-Parkplatz in Fürstenwalde,
dem der Rapper ein vermeintliches Denkmal setzt, ist für ihn ohnehin nur die
Rolle, die gerade am besten funktioniert. Egal, wie lange er morgens föhnt und
was er schon mittags alles runterschüttet.

Im Pop geht das natürlich in Ordnung. David Bowie war Ziggy Stardust, aber kein Alien, und Bruce Springsteens erste Band hieß Steel Mill,
obwohl der Boss nie in einem Stahlwerk gearbeitet hat. Was im Pop aber nicht in
Ordnung geht, ist Halbherzigkeit. Finch Asozial stilisiert sich als Witzfigur,
die gar nicht über sich selbst lachen will. Die Pointen gehen auf Kosten jener
Autoschrauber und Zeittotschläger, die
er zu repräsentieren vorgibt. Das ist das wirklich Ärgerliche an Dorfdisko.
Es tritt nicht so wild um sich, wie es tut, sondern sehr gezielt nach unten.

“Dorfdisko” von Finch Asozial erscheint bei Walk This
Way/Warner.

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