/Weiße Sneaker: Wolkenfüßig

Weiße Sneaker: Wolkenfüßig

Ich
war 13 oder 14, als ein Paar Turnschuhe meine Sicht auf die Dinge
veränderte. Nike Air Force One, knöchelhoch und knallweiß: Leder,
Futter, Sohle, Swoosh, als hätte man dem Yeti die Füße
abgeschraubt. Damals hatte ich keine Ahnung, dass sich das Thema
Turnschuhe damit erledigt hatte. Egal ob Adidas, Reebok, New Balance; meine würden weiß sein, heute und
für immer.

Einige
Male habe ich noch versucht, andersfarbige Turnschuhe zu kaufen,
probierte blaue an, rote, beige. Sah mit schlechtem Gewissen dabei
zu, wie der Typ bei Foot Locker die Schnürsenkel durch die Ösen
fädelte, bevor er mir den rechten Schuh und sein Verkäuferlächeln hinhielt. Ich würde die Dinger nicht kaufen, niemals. Als er mit dem
Karton in der Hand aus dem Lager gekommen war, schien noch alles möglich, als er
die Zunge anhob, um das zerknüllte Papier aus dem Zehenbereich zu ziehen, war
noch nichts verloren. Als ich meinen Fuß hineinschob, war es
vorbei.

Zwei, drei Mal ging das so, bevor ich auf ein weißes Paar zeigte, das seine Schnürsenkel nun schon mit einem deutlich bemühteren Lächeln verpasst bekam. Ich schob einen Fuß hinein, dann den anderen, und sah, wie die Schuhe mein Spiegelbild beflügelten. Wenn das tatsächlich ich war, der da meine Bewegungen imitierte, dann schien ich kurz zu schweben. The Sky is the limit. Alles schien so leicht. 

Es
muss etwas sein an weißen Turnschuhen, etwas live changing, hinter
das man nicht zurückkommt. Die Entscheidung für Weiß fühlt
sich gar nicht an wie eine Entscheidung, vielleicht ist es das. Eine
Farbe nagelt mich fest, Weiß lässt mich in der Schwebe. In einer an
Möglichkeiten übervollen Welt verweigere ich die Wahl – und
habe trotzdem Schuhe an den Füßen. Weiß ist die Anti-Entscheidung,
Projektionsfläche. Ich schlage keinen Pfad ein, ich gehe auf
einem Versprechen: Alles ist möglich. 

Scheißschwerkraft!

Und ist es nicht überhaupt ein Wahnsinn, mit weißen Schuhen in diese verschlagene
Welt zu treten, von der wir wissen, dass wir da draußen nicht einmal unsere Weste werden reinhalten können? Ein weißer Schuh, einmal unboxed, versucht erst gar nicht Unschuld zu behaupten, weil sich seine Farbe vom ersten Tag an dem Dreckiggrau der Straße annähert. Um der Unterscheidbarkeit willen schmeißt man ihn dann und wann in die Waschtrommel, Bleichmittel drauf, wie neu.

Weiß
ist, genau wie Schwarz, eine unbunte Farbe. Das menschliche Auge sieht Weiß, wenn alle drei Farbrezeptoren darin in gleichem Maß gereizt
werden. Weiß ist nicht das Ergebnis eines Zuwenig, sondern eines
Zuviel. Neurologisch betrachtet: übertrieben bunt. 

Ich
will hier niemanden von weißen Turnschuhen überzeugen, echt nicht. Komplett
nachvollziehbar, wenn da jemand nicht mitgeht. Mein Hausmeister zum
Beispiel. Auf ihn muss die altweiße Pyramide vor meiner Haustür befremdlich wirken. Letztens löste er mit seinem Wischmop
eine Schuhlawine aus, die sich
von der Türschwelle treppabwärts ergoß. Mit seinen schwarzen Stiefeln polterte er hinterher. Scheißschwerkraft! Ich meinte, ihn fluchen zu hören.   

Dabei hätte ich ihm alles erklären können: Weiße
Sneaker tun das Gegenteil dessen, was Marx mit Hegel gemacht hat.
Sie stellen mich von den Füßen auf den Kopf. In ihnen laufe ich auf
Wolken. Okay, zumindest bringen sie, von den unbewohnten Polregionen
einmal abgesehen, ein sichtbares Polster zwischen mich und die
Erdkruste. Das hat nichts mit Abgehobensein zu tun. Ich stelle mir
einfach gerne vor, der Schwerkraft mit einem optischen Trick ein klein
wenig ihrer Gravität zu
nehmen. Es ist doch so schon schwer genug alles.    

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