/Polizisten: “Man sieht doch schon im Kindergarten, was passiert, wenn sich niemand an Regeln hält”

Polizisten: “Man sieht doch schon im Kindergarten, was passiert, wenn sich niemand an Regeln hält”

Das Restaurant Laufauf liegt im Hamburger Kontorhausviertel. Dunkles Holz an Wänden und
Decken, es ist voll und laut, auf der Karte steht Labskaus. Ganz hinten in der Ecke sitzen
drei junge Menschen in Jeans und Pullover, nur die Polizeimütze auf dem Tisch verrät, wer
sie sind. Wir möchten mit ihnen über ihre Arbeit sprechen, die wir jeden Tag sehen, aber
doch nicht wirklich kennen. Und über Großeinsätze, nach denen oft Kritik an der Polizei laut
wird. Die Beamten waren in drei umstrittenen Einsätzen der Vergangenheit dabei, beim
G20-Gipfel in Hamburg, bei der Räumung des Hambacher Forstes und in Chemnitz, als die
Demonstrationen nach dem Tod Daniel H.s außer Kontrolle gerieten. Zwei der drei Polizisten
hatten eine längere Anreise, aus Leipzig und aus Gelsenkirchen. Alle drei haben
Hunger.

DIE ZEIT:
Sie alle drei sind nicht nur Polizisten, sondern auch Polizistenkinder. Hat Sie die Arbeit
Ihrer Väter nie abgeschreckt?

Sarah Schwoda:
Unsere Väter waren seltener zu Hause als die, die bei der Sparkasse oder bei der Post
waren. Dafür konnten sie spannendere Geschichten erzählen.

Niels Sahling, 29, ist seit sieben Jahren bei der Hamburger Polizei. Der Bundesjugendvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) war als Bereitschaftspolizist beim G20-­Gipfel im Juli 2017 in Hamburg 63 Stunden lang fast rund um die Uhr eingesetzt.
© Roman Pawlowski für DIE ZEIT

Jan Hartung:
Als Schüler war es für mich das Größte, wenn mein Vater in der Pause mit dem Streifenwagen
an der Schule vorbeigefahren ist.

Niels Sahling:
Aber natürlich haben wir früh gemerkt, was der Job mit sich bringt. Weihnachten und
Silvester war meine Mutter mit uns allein. Und musste dann jeweils am nächsten Tag los, weil
sie Krankenschwester in der Notaufnahme war. Wenn ich gesagt habe, ich will auch zur
Polizei, hat mein Vater geantwortet: “Werd lieber Arzt wie dein Onkel, da hast du weniger
Ärger und mehr Anerkennung.” Aber bei meiner Vereidigung hatte er vor Stolz Tränen in den
Augen.

Schwoda:
Mein Vater hat mir sogar geraten, Polizistin zu werden. Nach dem Abitur war ich unsicher:
Sollte ich studieren? Kunst? Architektur? Da kam mein Vater mit seinem Vorschlag, und ich
dachte mir: Stimmt! Warum bist du da nicht selbst draufgekommen? Ich wollte immer einen
Beruf, der mich glücklich macht. Und ich werde dadurch glücklich, dass ich jemandem helfen
kann.

ZEIT:
Umgekehrt wirkt es allerdings nicht immer so, als seien die Leute glücklich über Ihre
Hilfe.

Sarah Schwoda, 23, GdP-Mitglied, arbeitet bei der Bereitschaftspolizei in Leipzig. Im August 2018 war sie bei den Demonstrationen in Chemnitz im Einsatz: Nachdem der 35-jährige Daniel H. im Streit mit Migranten erstochen worden war, kam es zu Ausschreitungen.
© Roman Pawlowski für DIE ZEIT

Schwoda:
Klar, es gibt auch Einsätze, da werden wir als Spielverderber wahrgenommen.

Hartung:
Im Hambacher Forst haben Besetzer sogar menschliche Exkremente von den Baumhäusern auf
Kollegen gekippt. Das war menschenverachtend.

Bei dem Einsatz wurden wir als
Feind angesehen.

Schwoda:
Das ist auch bei Demonstrationen oft so. Du sollst Lager A vor Lager B schützen – aber
ständig werfen dir Teilnehmer vor, aufseiten des einen oder anderen zu sein. Dabei verhalten
wir uns neutral. Was wir persönlich über den Einsatz denken, fragt keiner.

ZEIT:
Im Hambacher Forst geht der Streit weiter: Die Besetzer sind wieder eingezogen, kürzlich
hat der Ministerpräsident von NRW erneut zur Räumung aufgefordert. Was denken Sie denn
darüber?

Hartung:
Ich bin natürlich auch nicht für den Kohleabbau.

ZEIT:
Trotzdem haben Sie Leute weggetragen, die gegen die Rodung der Wälder kämpfen.

Hartung:
Das ist halt mein Job. Dafür habe ich mich entschieden. Das ist wie ein Finanzbeamter, der
eine Steuerprüfung macht und denkt: Der Arme, der tut mir leid. Er muss es trotzdem
machen.

Jan Hartung, Bereitschaftspolizist in Gelsenkirchen, musste im Herbst 2018 wochenlang den Hambacher Forst räumen, den Umweltaktivisten mit Baumhäusern besetzt hielten. Wegen eines behördeninternen Wechsels darf er seinen echten Namen nicht nennen.
© Roman Pawlowski für DIE ZEIT

Sahling:
Über den Hambacher Forst haben wir in Hamburg viel mit Kollegen gesprochen. Die meisten
waren erleichtert, nicht hinzumüssen. Es findet doch keiner toll, wenn Wälder abgeholzt
werden.

Hartung:
Und keiner freut sich drauf, Demonstranten wegzutragen. Das ist, wie einen nassen Sack zu
schleppen. Die Leute bewegen sich ja nicht. Am besten geht es, wenn sich zwei gleich große
Kollegen zusammentun. Aber das klappt nicht immer. Ich bin 1,96 Meter. In meiner Größe gibt
es nicht viele.

Sahling:
Aber zu Hause bleiben, weil wir zum Beispiel den Wald mögen, das geht halt nicht. Nur wenn
wir offensichtlich falsche Anweisungen bekommen und Straftaten begehen sollen, können wir
Widerspruch einlegen. Remonstrieren heißt das. Der Einsatzleiter kann das aber auch einfach
nur zur Kenntnis nehmen – und dann müssen wir grundsätzlich weitermachen.

ZEIT:
Als beim G20-Gipfel die Lage im Hamburger Schulterblatt eskalierte, haben sich
baden-württembergische und bayerische Bereitschaftspolizisten geweigert, ins Viertel
vorzurücken.

Sahling:
Die hatten Angst um ihr Leben. Das Ende vom Lied war: Statt der auswärtigen Kollegen musste
meine Hundertschaft von der Hamburger Bereitschaftspolizei rein. Im Vorbeigehen haben uns
die Kollegen noch auf die Schulter geklopft: Ey, gebt alles!

ZEIT:
Hatten Sie auch Angst?

Sahling:
Es war unsere Stadt, die die Randalierer auseinandergenommen haben. Da gehst du mit so viel
Adrenalin rein, dass du keine Angst mehr spürst. Aber ich hatte massiv Respekt. Im Viertel
brannten Barrikaden, überall lagen ausgehebelte Straßenschilder und Pflastersteine.
Dazwischen Männer mit nacktem Oberkörper, das Gesicht vermummt, aus der Jeans schaute die
Armani-Unterhose, in der Faust sah man schon den Stein. Wir wurden pausenlos beworfen. Das
bleibt hängen. Ich bin noch Wochen später zusammengezuckt, als ich in Südfrankreich im
Urlaub war und dort ein Feuerwerk losging.

Hartung:
Die Angst kommt erst hinterher, wenn dir klar wird, was alles hätte passieren können.

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