/Annegret Kramp-Karrenbauer: Die Neue versteht die Aufregung nicht

Annegret Kramp-Karrenbauer: Die Neue versteht die Aufregung nicht

18 Jahre lang hatte man sich in Demmin in Mecklenburg-Vorpommern daran gewöhnt: An die Blasmusik und das Plastikbier in der Tennishalle, an die freundlichen Anmoderationen und daran, dass dann fast immer diese eine Frau die Hauptrede hielt, die nebenan ihren Wahlkreis hatte – Angela Merkel, Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende.

Aber in diesem Jahr sind gleich zwei Dinge sehr anders. Zum einen ist die zierliche Frau
in der rote Bluse, die kurz nach 17 Uhr unter rhythmischem Klatschen in
die Halle einzieht, nicht Merkel, sondern ihre Nachfolgerin als Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Dass
sie heute hier ist, behauptet sie später, sei gewissermaßen eine
Bedingung dafür gewesen, dass sie ihr Amt überhaupt bekommen hat.
Schließlich habe Merkel ihr quasi sofort nach ihrer Wahl das Versprechen
abgenommen, am Aschermittwoch auf alle Fälle nach Demmin zu
fahren. Die Kanzlerin lässt sich an diesem Nachmittag dagegen nicht mal
als Gast bei der Veranstaltung blicken.

Was noch anders ist: Kramp-Karrenbauer hat ein paar Tage zuvor einen kleinen Rummel ausgelöst mit einer Rede, die Merkel so eher nicht gehalten hätte. Beim einem Fastnachtsauftritt kalauerte sie, in Berlin wolle eine
Latte-Macchiato-Fraktion nun Toiletten für das dritte Geschlecht
einführen, und fügte hinzu: “Das ist für die Männern,
die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkel oder schon
sitzen müssen”. Die Aufregung war groß: Kramp-Karrenbauer mache Witze
auf Kosten einer Minderheit, die es ohnehin schon schwer genug habe,
kritisierte etwa die Opposition aber auch Vertreter von Lesben- und
Schwulen. Sie verlangten eine Entschuldigung. Der Auftritt in Demmin verspricht nun, zu zeigen, wie Kramp-Karrenbauer darauf reagiert.

Gegen “Sprachpolizei”

Zuerst aber reagieren ihre Vorredner. CDU-Landeschef Vincent Kokert, der vor Kramp-Karrenbauer die Bühne
betritt, stellt gleich mal klar: Man brauche keine
Sprachpolizei, die den Humor verbieten wolle, ruft er unter viel Applaus
in die Halle. Und auch der CDU-Europapolitiker Werner Kuhn, von der
Lokalzeitung als “Spaßvogel der Landes-CDU” tituliert, der hier wie in
jedem Jahr die Büttenrede zum Auftakt hält, findet, dass die
Schuld für die Aufregung nicht bei Kramp-Karrenbauer liegt.
“Kein Mensch beschwert sich über spitze, heterosexuelle Witze. Das
halten alle für normal – da lacht und jauchzt der ganze Saal”, reimt er.
Und schlussfolgert: “Kritik an AKK läuft da in ins Leere, es schäumen
nur die Funktionäre.”

Dann kommt die Vorsitzende selbst. Alle, die jetzt die Fastnacht damit verbracht hätten, sich über den
vielzitierten Toilettenwitz aufzuregen, hätten doch lieber mal die ganze
Veranstaltung im Zusammenhang sehen sollen, sagt sie. Schließlich sei sie vor dem
Stockacher Narrengericht für die “Entmannung der CDU” angeklagt
gewesen. Dagegen habe sie sich in ihrer Rede doch nur verteidigt. Und
dann wird sie grundsätzlich: Wenn man jedes Wort auf die
Goldwaage legen müsse, auch da wo es um Kleinkunst und Kabarett gehe,
dann mache man diese wichtige Tradition in Deutschland kaputt. Im
Übrigen liefen die Deutschen, die sie beim Fall der Berliner Mauer noch
als das freieste Volk der Welt betrachtet habe, heute Gefahr, das
verkrampfteste Volk der Welt zu werden. “Das kann so nicht weitergehen”,
fordert Kramp-Karrenbauer unter lautem Applaus des Publikums.

Den hat sie an diesem Abend sowieso sicher. Weil sie sich viel mehr als Merkel bemüht, die Seele der Partei anzusprechen. In der CDU
dürfe ja jeder nach seiner Facon selig werden, sagt sie, man schreibe aber auch niemand
vor, wie er zu leben habe: Silvesterknaller verbieten wegen des
Feinstaubs? Fleischesser kritisieren? Oder darüber reden, ob es
eigentlich noch zeitgemäß ist, dass Kinder als Indianer oder Scheich zur
Faschingsfeier kommen? Nicht mit Kramp-Karrenbauer und der CDU. Die
Menschen in der Demminer Tennis-Halle fühlen sich da verstanden. Und sie
jubeln auch, als Kramp-Karrenbauer hinzufügt, sie könne nicht
verstehen, dass über “solch einen Blödsinn” tagelang in den Medien
berichtet werde – ihren Toilettenwitz denkt sie da wohl mit. 

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