/Aids-Erreger: HIV-Heilung, die zweite

Aids-Erreger: HIV-Heilung, die zweite

37 Millionen Infizierte weltweit, eine Million Tote jedes Jahr – und nun womöglich ein zweiter Mensch, der geheilt wurde. In seinem Körper ist das HI-Virus nicht einmal mehr in kleinsten Fragmenten aufzuspüren. Welcher Segen wäre es, wenn die Seuche, die Aids auslöst, für alle heilbar werden würde?

Im aktuellen Fall ist es Ärztinnen und Ärzten aus London wohl gelungen, das Virus aus dem Körper eines Mannes zu entfernen. Über einen Zeitraum von fast drei Jahren nach einer Stammzelltransplantation, die er wegen einer fortgeschrittenen Krebserkrankung erhielt, konnten im Blut des Patienten keine Viruspartikel mehr nachgewiesen werden. Sollte das so bleiben, wäre dieser Mensch, nennen wir ihn den Londoner Patienten, erst der zweite, bei dem eine solch gezielte Behandlung geholfen hätte. Geheilt bedeutet, dass auch ohne Medikamente das Virus nicht mehr im Körper nachzuweisen ist.

Der Fall, den die die Forscher im Magazin Nature (Gupta et al., 2019) beschreiben, erinnert stark an die Geschichte von Timothy Ray Brown. Er war vor mehr als zehn Jahren in der Charité Berlin-Steglitz von HIV befreit worden und ging als Berliner Patient in die Geschichte ein (New England Journal of Medicine: Hütter et al., 2009).

Nicht nur die Behandlung der beiden verlief ähnlich, ebenso speziell sind auch die Umstände. Allein schon deshalb kämen ihre Therapien für nahezu keine der Millionen HIV-Patientinnen und keinen Patienten weltweit infrage.

Eine seltene Mutation als Glücksfall

Bereits 2003 wurde der Londoner Patient mit HIV diagnostiziert, im Dezember 2012 erkrankte er an Lymphdrüsenkrebs, einem Hodgkin-Lymphom. Die behandelnden Ärzte gaben ihm verschiedene Chemotherapien, die nicht recht anschlugen. Das einzige, was Hilfe versprach: eine Knochenmarktransplantation, mit der das Immunsystem des Patienten ausgetauscht werden sollte. Damit sollten auch die Krebszellen des Patienten, die aus Immunzellen entstanden waren, verschwinden. Weil eine Transplantation mit eigenen Stammzellen – die Option, die Medizinerinnen und Mediziner wegen der geringeren Nebenwirkungen bevorzugen – nicht möglich war, suchten die Ärzte in einem Knochenmarkregister nach einem Spender oder einer Spenderin.

Auf der Liste entdeckten sie eine Person, die ihre Hoffnungen hochgeschraubt haben dürfte. Der potenzielle Spender passte nicht nur genetisch recht gut zum Londoner Patienten, sondern hat auch auch noch von Natur aus eine Besonderheit in seinen Genen: Viele HIV-Stämme können ihm nichts anhaben. Eine Mutation des CCR5-Gens, das für ein Oberflächenprotein auf Immunzellen des Körpers kodiert, macht ihn resistent gegen viele HI-Viren. Das CCR-Gen braucht das Virus (neben einem anderen Rezeptor), um in die Zellen des Immunsystems hineinzuschlüpfen. Wer wie der Spender und mit ihm nur rund ein Prozent aller Europäer zudem beide Varianten des CCR5-Gens hat, dessen Immunzellen tragen das Protein nicht auf ihrer Oberfläche. HIV hat deswegen keine Chance, die Zellen zu infizieren, es kommt schlicht nicht in sie hinein. Selbst wenn das Virus noch im Körper steckt, so die Hypothese, kann es keinen Schaden mehr anrichten.

Die Ärztinnen und Ärzte zerstörten also das Knochenmark des Londoner Patienten und injizierten ihm das gesunde Knochenmark des HIV-resistenten Spenders. Der Eingriff gelang ohne große Komplikationen – abgesehen von zwei Virusinfektionen, die der Londoner Patient durchlief, und einem kurzen, nach Knochenmarktransplantationen üblichen Angriff des neuen Immunsystems auf den Darm des Empfängers.

An die Transplantation schlossen sich diverse Tests an. Sie zeigten, dass im Blut des Patienten tatsächlich Immunzellen schwammen, die die Gene des Spenders hatten, ohne die HIV-Andockstelle CCR5. Am wichtigsten aber: Das HI-Virus, auf das die Medizinerinnen zu Beginn wöchentlich und später monatlich testeten, war nicht mehr im Blut nachweisbar. Noch 16 Monate lang nahm der Londoner Patient vorsichtshalber täglich Medikamente gegen das HI-Virus ein, dann hörte er auf. Weitere 18 Monate später, also fast drei Jahre nach der Transplantation, ist das Virus noch immer nicht im Blut nachweisbar. Trotzdem sei es noch zu früh, um von einer “Heilung” zu sprechen, schreiben die Autorinnen und Autoren um Ravindra Gupta, Professor für Immunologie vom University College London, wohl wissend, dass sich das Virus jahrelang still und unerkannt in verschiedensten Zellen des menschlichen Körpers verstecken kann.

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